Rheologie
Definition
- Die Rheologie beschreibt das Fließ- und Deformationsverhalten von Stoffen
und Stoffsystemen.
Bemerkungen
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Das rheologische Verhalten eines Materials wird durch das
Verhältnis zwischen der Kraft, die auf ein Material wirkt, und der Wirkung
dieser Kraft beschrieben.
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Die Auswirkung kann eine elastische Deformation oder
viskoses Fließen sein.
- Fließen ist eine irreversible Verformung, die unendlich fortgeführt
werden kann.
- Zur Beschreibung von Fließvorgängen dient vor allem die Viskosität, die
an anderer Stelle behandelt wird.
- Analytische rheologische Messungen werden heute meist mit Rotationsviskosimetern
("Rheometern") durchgeführt. Sie ermöglichen die Aufnahme von
Viskositätsprofilen und auch die Charakterisierung von
viskoelastischen Stoffen.
- Moderne Rotationsviskosimeter können meist neben den klassischen
Rotationsversuche auch Oszillationsversuche durchführen.
Rotationsversuche
- Bei den Rotationsversuchen wird die Reaktion der Probe auf eine von außen
angelegte stets in gleicher Richtung verlaufende Rotationskraft gemessen.
- Aus technologischen und historischen Gründen besteht die
Standardmesstechnik darin, die Probe mit einer vorgewählten
Schergeschwindigkeit zu belasten und die hierfür aufzubringende Kraft zu
messen.
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Die wichtigsten Messarten von Rotationsversuchen sind:
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Kontrollierte Schergeschwindigkeit (controlled rotation
- CR)
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Die Messung wird bei vorgewählten
Schergeschwindigkeiten ausgeführt und die zur
Aufrechterhaltung dieser Geschwindigkeit notwendige Energie
gemessen.
-
Man erhält so entweder die Fließkurve τ(D)
oder die Viskositätskurve η(D) der Probe.
Diese enthalten Informationen über die Viskosität
einer Substanz bei verschiedenen Schergeschwindigkeiten und über
den rheologischen Charakter der Probe, d.h. ob sie newtonsches oder
nicht-newtonsches Fließverhalten zeigt.
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Kontrollierte Schubspannung (controlled strain - CS)
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Bei dieser Methode wirkt eine vorgewählte Kraft auf
die Probe einwirken gelassen.
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Gemessen wird die resultierende Deformation der
Probe, die als Funktion der Zeit angezeigt wird.
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Diese Methode wird auch als "Kriechversuch"
bezeichnet.
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Mit Hilfe des Kriechversuches können die
elastischen und die viskosen Anteile einer Substanz unterschieden
werden.
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Kontrollierte Schubspannung - Fließmodus
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Bei diesem Test wird die vorgegebene Kraft erhöht
und die resultierende Schergeschwindigkeit gemessen. Die Ergebnisse
werden in einer Fließkurve aufgezeichnet.
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Mit diesem Test kann die Fließgrenze von
pseudoplastischem Material ermittelt werden.
Oszillationsversuche
- Bei rheologischen Oszillationsversuchen wird die Probe einer sich
sinusförmig ändernden (oszillierenden) Deformation ausgesetzt, für die
gilt: γ = γ0·sin(ωt),
wobei γ0
die Deformationsamplitude und ω die
Winkelgeschwindigkeit darstellt.
- Es gibt daher zwei voneinander
unabhängige Größen, die vorgegeben werden können: Amplitude und Frequenz.
- Aus der Variation von Amplitude und Frequenz ergibt sich
notwendigerweise auch eine während des Versuchs sinusförmig
oszillierende Schubspannung τ mit gleicher
Winkelgeschwindigkeit ω.
- Bei Oszillationsversuchen werden diese Größen während des Versuches
nach vorgegeben Kriterien verändert und die sich daraus ergebenden
Antworten der Probe auf die jeweiligen Bedingungen ausgewertet.
- Aus Amplitude und Frequenz als Vorgabegrößen entstehen direkt zwei linear unabhängige Antwortgrößen, nämlich
die Antwortamplitude (die Kraft, mit der die Antwort der Probe auf die
einwirkende Kraft erfolgt) und die Phasenverschiebung (den
Zeitunterschied zwischen eingeleiteter Kraft und Antwort der Probe).
- Beide Antwortgrößen können zur Berechnung verschiedener komplexer Moduln,
z.B. dem Speichermodul (G'), dem Verlustmodul (G'') und dem Komplexmodul
(G*) genutzt werden.
- In oszillometrischen Messungen können somit elastische (G') und viskose
(G'') Eigenschaften einer Probe gleichzeitig charakterisiert werden.
- Moderne luft- oder magnetgelagerte Rheometer liefern schon ab einem
Drehmoment von ca. 0,02 µNm und einem Auslenkwinkel von ca. 0,1 µrad
verlässliche Messwerte. Der tatsächliche realisierbare Messbereich
hängt jedoch auch von der zu prüfenden Probe und dem Trägheitsmoment
des Messsystems ab.
- Neben Amplitude und Frequenz können auch andere Parameter geändert
werden. Somit ergeben sich folgende Messarten für Oszillationsversuche,
wobei sich für die kontrollierte Veränderung des jeweils bestimmenden
Parameters während der Messung der Begriff "Sweep" eingebürgert
hat:
- Amplituden-Sweep
- Frequenz-Sweep
- Temperatur-Sweep
- Zeit-Sweep
- Oszillationsversuche eignen sich zur Charakterisierung von
viskoelastischen Substanzen, also solchen Stoffen, die in ihren rheologischen
Eigenschaften sowohl Merkmale eines elastischen Feststoffs, als auch
Merkmale einer viskosen Flüssigkeit enthalten.
- Die mathematische Berechnung der Ergebnisgrößen aus Messdaten sollte
lediglich im sogenannten linear viskoelastischen Bereich angewendet werden,
d.h. in dem Bereich, in dem die Probe deformiert werden kann, ohne dass ihre
Struktur zerstört wird. Geht man über diesen Bereich heraus, so gelten die
mathematischen Modelle zwar weiter, nur man misst eben nicht mehr seine
ursprüngliche Probe, sondern eine durch die Messung erst entstandene.
-
Eine rein elastische Substanz, wie z.B. eine ideale Feder,
reagiert auf eine oszillierende Deformation entsprechend dem Hookeschen
Gesetz. Die sich Rückstellkraft verändert sich ohne Zeitverzögerung mit
der Auslenkung. Der Phasenverschiebungswinkel δ
zwischen Anregung und Antwort beträgt 0°. Die gesamte zur Auslenkung in
die Feder gesteckte Energie wird ohne Verlust bei der Rückdehnung wieder
freigesetzt.
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Eine rein viskose Substanz wird in ihrem Ideal mittels des
Dämpfermodells von Newton beschrieben. Sämtliche dem System von außen
zugeführte Energie wird vollständig und irreversibel in eine Deformation
der Probe umgewandelt oder sie wird in Form von Wärme dissipiert. Die von
außen angelegte Schubspannung und die sich daraus ergebende
Schergeschwindigkeit folgen einander ohne zeitlichen Verzug, der
Phasenwinkel zwischen diesen beiden Größen ist somit 0°. Die
Deformationskurve γ(t), die bei der Feder einen
Phasenverschiebungswinkel von 0 °C hatte, hat beim Dämpfer eine einen
Betrag von 90°.
-
Ein viskoelastischer Stoff hat nun sowohl elastische, als
auch viskose Eigenschaften. Meist wird hier das Feder-Dämpfer-Modell von
Kelvin und Voigt zur Beschreibung herangezogen. Da ein viskoelastischer
Stoff sowohl viskos als auch elastisch ist, ergibt sich, dass der gemessene
Phasenverschiebungswinkel δ zwischen 0° und
90° liegen muss (0° < δ < 90°).
- Aus der mathematischen Auswertung erhält man insgesamt
folgende komplexe Größen:
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komplexe Viskosität (η*)
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komplexe Schubmodul (G*)
-
Maß für die insgesamt unter der Messung
aufgenommene Energie der Probe
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Speichermodul (G')
-
Maß für die reversibel gespeicherte Energie, also
den elastischen Anteil des komplexen Schubmoduls
-
Verlustmodul (G")
-
Maß für die irreversibel aufgenommene Energie,
also den viskosen Anteil des komplexen Schubmoduls
-
Verlustfaktor (tan δ)
-
Maß für das Verhältnis zwischen viskosen und
elastischen Anteilen (G''/G') der Probe, aus dem der
Phasenverschiebungswinkel δ berechnet
werden kann.
Amplituden-Sweep (Deformations-Sweep, strain amplitude sweep)
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Beim Amplituden-Sweep wir die Deformationsamplitude, also
das Ausmaß der angelegten Verformung, bei einer konstant gehaltener
Winkelgeschwindigkeit variiert: γ(t) = g0·sin(ωt).
-
Der daraus resultierende Speichermodul
(G') wird über der Deformation aufgetragen.
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Der Test kann verwendet werden zur:
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Bestimmung der Stabilität eines Systems
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Bestimmung des linear viskoelastischen Bereichs (häufig
wichtig für weitere Messungen).
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Der linear viskoelastische Bereich endet, sobald der
Speichermodul G' mit weiterem Ansteigen der Deformationsamplitude zu fallen
beginnt.
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Diese Deformation wird als kritische Amplitude g1
bezeichnet. Dies ist die Maximalamplitude, die für nicht-zerstörende
dynamische Oszillationsmessungen an identischen Proben zukünftig verwendet
werden darf.
Frequenz-Sweep (strain frequency sweep)
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Die Messung im Frequenz-Sweep kann Fragen bezüglich
Stabilität oder Struktur von viskoelastischem Material beantworten.
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Die Messung erfolgt bei einer voreingestellten konstanten
Deformationsamplitude; die Oszillationsfrequenz wird hingegen nach einem
voreingestellten Programm in Abhängigkeit von der Zeit verändert.
- Die Deformationsamplitude sollte in einem Bereich liegen, der zuvor
mit einem Amplituden-Sweep als sich innerhalb des linear
viskoelastischen Bereichs befindend, identifiziert wurde.
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Die daraus resultierende doppellogarithmische Aufzeichnung
des Speichermodul G' über der
Winkelgeschwindigkeit ω
zeigt charakteristische Kurvenverläufe, die von den gemessenen Substanzen
abhängen.
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Eine Plateauzone zeigt immer eine Netzwerkstruktur an, ihre Ausdehnung hängt
neben einem evtl. chemischen Vernetzungsgrad insbesondere vom Molekulargewicht
ab.
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Bei niedrigen Frequenzen verhalten sich konzentrierte
Lösungen langkettiger Moleküle noch eher wie Flüssigkeiten (G"
> G'), da hier die einzelnen Ketten während jeder Amplitude noch
umgerichtet werden können.
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Mit zunehmender Frequenz können die Ketten der
angelegten Bewegung zunehmend weniger folgen, die Lösung verfestigt
sich mehr und mehr.
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Bei hohen Oszillationsfrequenzen erfolgt praktisch keine
Folgen der Ketten an die angelegte Bewegung (G' >> G"), man
spricht hier auch vom "Glasbereich".
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Aus den Daten aus einer Frequenz-Sweep-Messung kann auch die
dynamische Weissenbergzahl W' berechnet werden.
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Sie beschreibt das Verhältnis der elastischen zu den
viskosen Anteile im untersuchten Gel und führt zu einer objektiven
Beschreibung der sensorischen Eigenschaften der Gele, was z.B. bei
Pektinen die Basis zur Standardisierung darstellt.
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Das Verhältnis von elastischen zu viskosen Anteilen in
einem viskoelastischen Gel beeinflusst die Textur wie folgt:
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Hohe elastische und geringe viskose Anteile (G' >>
G", hohe dynamische Weissenbergzahl) bedeuten ein sehr sprödes Gel
mit hoher Bruchfestigkeit. Das Gel ist empfindlich gegenüber
mechanischer Belastung und zeigt starke Tendenz zu Synärese.
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Hohen elastischen und steigenden viskosen Anteile (geringe
dynamische Weissenbergzahlen) sind weich und weisen eine bessere
Streichfähigkeit auf. Sie sind gegenüber mechanischer Behandlung
stabiler und neigen weniger zu Synärese.
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Es gibt einen eindeutigen Bezug zu den sensorischen
Eigenschaften:
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Gele mit einem engen linearen viskoelastischen Bereich
und relativ hohen dynamischen Weißenbergzahlen "bröckeln"
unter Krafteinwirkung z.B. beim Verstreichen. Das Gel wirkt relativ rau
und hat wenig "body".
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Gele mit einem breiten linearen viskoelastischen Bereich
und geringen dynamische Weißenbergzahlen sind mechanisch stabiler und
benötigen höhere Kräfte beim Verstreichen. Sie brechen nicht in
kleine Klumpen, und zeigen auch nach dem Verstreichen noch glatte und
glänzende Oberflächen. Das Gel wirkt sensorisch insgesamt glatter und
weniger rau. Es hat mehr "body".
Temperatur-Sweep (strain temperature sweep)
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Die Messung eines Temperatur-Sweeps wird unter Vorgabe einer
konstanten Deformation (γ) und einer konstanten
Frequenz (f) durchgeführt. Hier ist die Temperatur T der veränderliche
Parameter, welcher in einem Temperatur-Zeit-Profil T = T(t)] vorgegeben
ist.
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Temperatur-Sweeps eignen sich zur Beurteilung von Stoffen
mit thermosensiblen rheologischen Eigenschaften, z.B. temperaturabhängigen
Sol-Gel-Übergängen, Glasübergängen, Schmelzbereichen etc.
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Als Übergang zur Gelierung wird normalerweise der Punkt
angenommen bei dem Speichermodul G' und Verlustmodul G" gleich
groß sind und der Phasenverschiebungswinkel δ
45° beträgt. Die hier herrschende Temperatur wird dann als
Geliertemperatur bezeichnet.
Zeit-Sweep
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Beim Zeit-Sweep wird mit vorgewählter konstanter
Deformation (γ), konstanter Frequenz (f)
und konstanter Temperatur (T) gearbeitet.
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Die Methode wird angewandt zur Ermittlung der Stabilität
von Substanzen mit zeitabhängigen physikalischen Strukturveränderungen
oder zur Ermittlung des Verlaufs chemischer Reaktionen wie z.B. beim Auf-
oder Abbau von Gelgerüsten durch Quervernetzung oder Kettenspaltung.
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