Poliomyelitis
Synonyme
- Poliomyelitis epidermica anterior acuta, Heine-Medin-Krankheit, epidemische spinale Kinderlähmung
Definition
- Die Poliomyelitis ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit, bei der es
zur Entzündung der Neurone
der grauen Substanz (motorische Nervenzellen) mit nachfolgender Infiltration
mit Leukozyten, Lymphozyten und Plasmazellen kommt. Als Folgen treten
Gliazellreaktionen, der Abbau der Ganglienzellen und reaktive Ödeme auf,
die zu Lähmungserscheinungen führen.
Erreger
Übertragung
- Fäkal-oral
- Mensch ist alleiniges Erregerreservoir
Vorkommen
- Die Verbreitung der Poliomyelitis ist aufgrund des hohen
Immunisierungsgrades durch Schutzimpfung in Europa und Nordamerika deutlich
zurückgegangen. Durch nachlassende Impfbereitschaft treten einzelne Falle
jedoch wieder auf.
- In Ländern der dritten Welt ist die Krankheit noch relativ häufig, man
rechnet mit ca. 6000 Erkrankungen pro Jahr.
Inkubationszeit
- Die klinischen Symptome lassen sich in mehrere Phasen gliedern.
- 90 - 95 % aller Infektionen verlaufen inapparent.
- In ca. 5 % der Infektionen kommt es zum Ausbruch der Krankheit. Im
Initialstadium kommt es zu Symptomen eines grippalen Infekts. Die Gesundung
erfolgt innerhalb weniger Tage.
- In diesem Frühstadium werden die Polioviren im Rachensekret (über 1 - 2
Wochen) und im Stuhl (über mehrere Wochen) ausgeschieden.
- Nach einigen symptomfreien Tagen (Latenzstadium) kann es zum
meningitischen Stadium kommen. Kennzeichnend sind eine aseptische Meningitis
mit schwerem meningealem Syndrom, das nach einigen Tagen vollständig
abklingt und von anderen Infektionen durch Enteroviren
klinisch nicht zu unterscheiden ist.
- Ungefähr 0,1 % der Infizierten gelangen ins präparalytischen Stadium mit
katarrhalischen Erscheinungen der oberen Luftwege oder des Darms
(Durchfall), mäßigem Temperaturanstieg (Fieberkurve vom
"Dromedartyp"), Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen, starkem
Schwitzen, allgemeiner Hyperästhesie und meningitischen Zeichen. Dieses
Stadium kann sehr kurz sein, oder ganz fehlen.
- An das präparalytische Stadium schließt sich das paretische Stadium an.
Dabei sinkt die Temperatur ab und es kommt zu in rascher Folge auftretenden
asymmetrischen, schlaffen Paresen unterschiedlicher Ausprägung und
Verteilung.
- Es kommt meist zu schlaffen Lähmungen, spastische Lähmungen sind
möglich, wenn die Antagonisten nicht gelähmt sind. Von der Lähmung
können Extremitäten ebenso wie innere Organe (z.B. Blase, Kehlkopf)
betroffen werden.
- In den gelähmten Gebieten Areflexie,
aber keine Sensibilitätsstörungen (spinale Form). Kein weiteres
Fortschreiten der Lähmungen nach vollständiger Entfieberung.
- Die Stärke der Erkrankung und die Häufigkeit von Paralysen
hängen vom Virus, vom Lebensalter des Betroffenen und seiner Resistenzlage
ab.
- Generell gilt: Je früher der Mensch eine Polioerkrankung durchmacht,
desto leichter verläuft sie. So ist es verständlich, dass in Ländern mit
niedrigem Hygienestandard eine mehr oder weniger vollständige Durchseuchung
schon im Frühkindesalter erfolgt, und zwar bei relativ wenig manifesten
Krankheitsfällen. Bei Verbesserung der hygienischen Verhältnisse
verschiebt sich der Infektionszeitpunkt mehr ins Erwachsenenalter - die Zahl
der manifesten Erkrankungen und der Paralysen nehmen zu.
Prognose
- Werden die Kerne der Hirnnerven IX und X betroffen (bulbopontine Form)
oder kommt es zu rasch aufsteigenden Lähmung mit Übergreifen auf das Atem-
und Kreislaufzentrum, so ist die Progrose schlecht (20 - 60 % Letalität).
- Bei der Mehrzahl der Patienten bilden sich die Symptome innerhalb eines
Jahres zurück. Residualschäden, wie atrophische Lähmungen, trophische und
vasomotorische Störungen, Skelett- und Gelenkveränderungen, sind häufig.
Prophylaxe
- Schutzimpfung
- Die Polioschutzimpfung hat sich als eine der wirksamsten und
verträglichsten prophylaktischen Maßnahmen erwiesen: Verwendet werden
kann entweder die Totvakzine nach Salk oder eine Lebendvakzine mit
abgeschwächtem Poliovirus, z.B. der Impfstoff nach Sabin. In allen
Vakzinen sind die 3 Poliovirustypen enthalten. Die Polioschutzimpfung
hat zu einem drastischen Rückgang der Poliomyelitismorbidität
geführt.
- Die Salk-Vakzine induziert eine humorale Immunität, während mit der
Sabin-Vakzine ("Schluckimpfung") darüber hinaus auch eine
lokale Immunität (Produktion von Antikörpern der Klasse IgA)
zumindest der Darmschleimhaut erzeugt wird. Die Lebendvakzine ist aber
mit der, wenn auch sehr seltenen Möglichkeit des Auftretens einer (dann
auch meist "gutartigen") Polioerkrankung belastet (1 Fall auf
> 1 Million Geimpfter).
- Während der Todimpfstoff die Generalisierung der Polioviren
verhindert, reduziert der Lebendimpfstoff schon eine Darminfektion in
der ersten Phase.
- Da Polioerkrankungen bei uns derzeit selten sind, ist zu befürchten,
dass die Durchimmunisierung der Bevölkerung aufgrund von Infektionen
und Schutzimpfungen abnehmen wird (Impfnachlässigkeit!). Dadurch
vergrößert sich die Gefahr epidemischer Polioausbrüche. Es ist daher
außerordentlich wichtig, auch jetzt die Impfdisziplin durch eine
möglichst vollständige Durchimmunisierung der Kinder zu stärken.
- Der orale Lebendimpfstoff wird - trotz deutlich besserer Wirksamkeit -
nicht mehr verwendet, da die Geimpften für einen kurzen Zeitraum zu
möglichen Infektoren werden. Um Immungeschwächte Personen dadurch
nicht zu gefährden, wird nur noch der weniger wirksame Todimpfstoff
angewandt.
- Die Erstimpfung mit dem Lebendimpfstoff im 3. Lebensmonat bewirkt
bereits einen Impfschutz von 99 %. Durch Nachimpfungen im 4. und 15.
Lebensmonat, sowie danach alle 10 Jahre wird dieser Impfschutz noch
mehrfach geboostert.
- Der Durchimpfungsgrad in der Bevölkerung sollte bei mehr als 70 %
liegen.
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