Bone Morphogenetic Protein (BMP)

Synonym

  • Morphogenetisches Knochenprotein

Definition

  • Übergeordnete Bezeichnung für einen Vertreter einer größeren Gruppe von Wachstumsfaktoren, die zur TGF-β-Familie gerechnet wird und vielfältige Aufgaben bei der Steuerung von Entwicklungs- und Wachstumsprozessen hat.

Bildung

  • BMPs werden zunächst als Präproproteine synthetisiert.
  • Der Signalsequenz am N-Terminus schließt sich zunächst ein teilweise über 300 Aminosäurereste langes, cysteinfreies Propeptid an, dessen Funktion bislang unklar ist. Darauf folgt die meist etwa 100 - 140 Aminosäurereste lange Kette des eigentlichen BMPs.
  • Nach dem durch die Signalsequenz vermittelten Transport des Präproproteins ins endoplasmatische Retikulum, kommt es zur Ausbildung eines sogenannten Cystin-Knotens. Hierbei bilden sechs hochkonservierte Cysteinreste im C-terminalen Abschnitt drei Disulfidbrücken. Zwei dieser Brücken formen zusammen mit der Proteinkette einen Ring, durch den die dritte Disulfidbrücke hindurchgreift.
    • Der Cystin-Knoten ist ein charakteristisches Strukturmotiv für die TGF-β-Superfamilie, findet sich aber auch bei vielen anderen Proteinen, z.B. den Neurotrophinen, PDGF oder ω-Conotoxinen.
  • Bei den meisten BMPs wird zudem eine weitere Disulfidbrücke, ebenfalls aus dem Bereich um den C-Terminus, zu einem weiteren BMP-Molekül ausgebildet, so dass ein kovalent verbundenes Dimer entsteht.
    • Da sowohl Homo- als auch Heterodimere gebildet werden können, kann bereits hier die Aktivität der BMPs reguliert werden.
    • BMP-15 (und GDF-9) besitzen insgesamt nur 6 Cysteinreste im Molekül, so dass keine externe Disulfidbrücke mehr gebildet werden kann. Hier kommt es zur Bildung nicht-kovalent gebundener Dimere.
  • Die entstandenen Dimere werden im endoplasmatischen Retikulum und im Golgi-Apparat an beiden Enden N-glycosyliert.
  • Der letzte Schritt zum reifen BMP ist die enzymatisch katalysierte Abspaltung des Propeptids, die wahrscheinlich durch SPCs (Subtilisin-like Proprotein Convertases) prozessiert wird.
  • Die fertigen Faktoren können nun exozytotisch freigesetzt werden.
    • Findet die letzte Prozessierung nicht oder nur unvollständig statt, so kommt es zur Freisetzung von Proformen, was auch pathologische Bedeutung haben kann. So konnten in der Synovialflüssigkeit von Patienten mit rheumatoider Arthritis ausschließlich Proformen von BMP-2 und BMP-6 nachgewiesen werden.

Vorkommen, Funktion

  • BMPs sind auto- und parakrin wirkende Zytokine. Sie sind in äußerst geringer Menge (ca. 1 µg/kg) im Knochengewebe enthalten und werden bei Bedarf nachgebildet.
  • Sie kontrollieren neben der Ausbildung der Körperachsen unter anderem die Differenzierung und das Wachstum von Organen und Gliedmaßen, v.a. während der Embryonalentwicklung.
  • BMPs beeinflussen aber auch die Apoptose, so konnten sowohl apoptoseinduzierende, als auch apoptosehemmende Wirkungen einiger BMPs auf bestimmte Zellen nachgewiesen werden.
  • Beim Erwachsenen haben BMPs vor allem Bedeutung hinsichtlich ihrer Beteiligung am physiologischen Knochenumbau und bei der Heilung von Knochenbrüchen und anderen Schäden am Skelett.
  • Das größte osteoinduktive Potential haben BMP-2, BMP-6 und BMP-9. Die Faktoren BMP-4 und BMP-7 sind etwas schwächer osteoinduktiv wirksam.
    • Nur die erstgenannten Faktoren waren in Untersuchungen dazu in der Lage pluripotente mesenchymale Vorläuferzellen der Maus (C3H10T1/2) in Osteoblasten zu differenzieren.
  • BMP-3 und BMP-12 zeigen anscheinend keinerlei induktiven Einfluss auf die Knochenneubildung.
    • Die Bildung der alkalischen Phosphatase, die sonst als Reporterenzym für die Knochenneubildung herangezogen wird, blieb unter der Behandlung mit diesen beiden Faktoren selbst bei Osteosarkomzellen aus.
  • Für BMP-3 wurde sogar eine hemmende Wirkung auf die Knochenneubildung nachgewiesen. Gleiches gilt für BMP-3B.
    • Der Mechanismus dieser Hemmung ist noch unklar, man nimmt entweder eine kompetitive Hemmung am Rezeptor oder die Bildung von unwirksamen Heterodimeren mit osteoinduktiven BMPs an.

BMPs als Signalproteine bei der Embryogenese

  • BMPs spielen sowohl bei Tieren als auch beim Menschen während der embryonalen Differenzierung von Geweben und Organen eine wichtige, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass die entsprechenden Gene im Rahmen der 600 Millionen Jahre alten Evolution fast unverändert blieben.
  • Mutationen innerhalb der BMP-Gene, die zu einem Verlust der physiologischen Wirkung führen, haben meist ein Absterben des Embryos zur Folge. In jedem Fall ist jedoch mit schweren Missbildungen an Skelett, Gliedmaßen oder inneren Organen zu rechnen.
  • Für eine normale Embryonalentwicklung ist es notwendig, dass verschiedene BMPs zu bestimmten, unterschiedlichen Zeitpunkten in den verschiedenen Skelettabschnitten exprimiert werden. Nur durch das Zusammenwirken mehrerer BMPs innerhalb genauer Zeitkorridore kommt es zur korrekten Ausbildung des Skeletts.
    • Dementsprechend spricht vieles dafür, dass die Morphologie und auch die Anzahl einzelner skelettaler Elemente von der Aktivität spezifischer BMPs während der Organogenese abhängig sind.
    • Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die verschiedenen BMPs auch an der Entwicklung unterschiedlicher parenchymatöser Organe (zum Beispiel Lunge, Niere, Leber) und verschiedener Gewebearten (zum Beispiel ZNS) beteiligt sind.
  • Besondere Bedeutung in der embryonalen Skelettentwicklung wird den BMPs 2, 3, 4, 6 und 7 zugeschrieben.

Knochenneubildung durch BMPs im Tiermodell und beim Erwachsenen

  • Die heterotope, das heißt intramuskuläre Implantation eines der osteoinduktiven BMPs (BMP-2 bis -7) zeigt zum Beispiel in Mäusen nach drei Wochen eine reproduzierbare Ossikelbildung.
  • Dabei handelt es sich um einen kaskadenförmigen Prozess der enchondralen Knochenbildung:
    • Innerhalb der ersten vier Tage kommt es zunächst zu einer Migration pluripotenter, mesenchymaler BMP-Zielzellen, die in geringer Konzentration ubiquitär im skelettnahen Weichgewebe sowie im Stützgewebe vorhanden sind, an den Ort der BMP-Implantation.
      • Dieser erste BMP-Effekt wird als Chemotaxis bezeichnet.
    • In der Folge kommt es bis zum Ende der ersten Woche zur Proliferation dieser pluripotenten Zellen, gefolgt von deren Differenzierung in Chondrozyten.
    • Das neu gebildete Knorpelgewebe zeigt in der zweiten Woche nach BMP-Implantation eine Kalzifikation des Chondroids, begleitet von einer Kapillareinsprossung.
    • Im Rahmen der enchondralen Ossifikation kommt es nun zur Ausbildung von Geflechtknochen.
    • Umbauvorgänge führen in der dritten Woche zur Ausbildung eines sphärisch, kugeligen Ossikels mit zentral blutbildenden Knochenmarksanteilen.
    • Die Ossikel sind in ihrer äußeren Kortikalis aus mehreren Schichten von laminär angeordnetem Knochengewebe aufgebaut.
  • Zur Initiierung dieser induktiven Vorgänge genügen einige wenige Mikrogramm der jeweiligen BMPs.
  • Vergleichbare Vorgänge der Knochenneubildung, jedoch in einem entsprechend längeren Zeitintervall und mit höheren BMP-Dosen, können auch bei allen höher entwickelten Säugetieren und beim Menschen beobachtet werden.
  • Sowohl das Ausmaß als auch die Geschwindigkeit der Knochenneubildung zeigen eine direkte Abhängigkeit von der Menge des jeweils eingesetzten BMP. Die stärksten induktiven Eigenschaften besitzen die Proteine BMP-2 und BMP-7.
  • Verschiedene Tiermodelle unterstreichen sowohl die therapeutische Wirksamkeit der BMPs als auch die Notwendigkeit der Proteinkopplung an geeignete Trägermaterialien, da letztere in erster Linie für die lokale Aufrechterhaltung einer wirksamen BMP-Konzentration verantwortlich sind.

Therapeutische Bedeutung

  • Vor allem BMP-2 ist aufgrund seiner Fähigkeit die Neubildung von Knochengewebe zu induzieren für die Behandlung größerer und schlecht heilender Knochendefekte interessant. Somit bestehen als potentielle Anwendungsgebiete z.B. parodontale Knochendefekte, zystische oder osteotomiebedingte Knochenhöhlen, Alveolarkammatrophien, periimplantäre Knochendefekte, osteotomiebedingte Spaltbildungen in der orthopädischen oder kraniofazialen Chirurgie, Kiefer-Gaumen-Spalten, tumor- oder traumabedingte Knochendefekte, Hypoplasien des Schädelskeletts und Pseudarthrosebildungen.
  • Erste Produkte sind auf dem Markt, ihr Einsatz wird v.a. durch hohe Kosten limitiert. Erwähnenswert ist, dass bisher bei der Therapie mit rekombinanten BMPs nahezu keine signifikanten Nebenwirkungen auftraten.

Wirkmechanismus

  • Seit den Untersuchungen von Urist ist bekannt, dass für die knochenbildenden Eigenschaften der BMPs die Differenzierung von pluripotenten, perivaskulär lokalisierten, mesenchymalen Zellen in knorpel- und knochenbildende Vorläuferzellen verantwortlich ist.
  • Diese, in ihrer Differenzierung noch nicht festgelegten Zellen befinden sich als mesenchymale Zielzellen der BMPs im Weichgewebe (Muskulatur, Periost, subkutanes Weichgewebe) sowie als Stammzellen im Knochenmark.
  • BMPs entfalten ihre biologische Aktivität durch Bindung an Oberflächenrezeptoren dieser Mesenchymzellen.
  • Intrazellulär wird das Signal durch Second-messenger-Proteine, die sogenannten SMADs, weitergeleitet, die im Zellkern die Transkription bestimmter Gene auslösen.
  • Die Bindung von BMP-Molekülen an nur zwei bis drei Rezeptoren pro pluripotenter Zielzelle soll ausreichen, damit diese zum Ort der BMP-Implantation wandern.
  • Dort führt dann eine Erhöhung der Rezeptorbindungen, bedingt durch die lokal höhere BMP-Konzentration, zu einer Proliferation der Mesenchymzellen und zu deren Differenzierung in knorpel- beziehungsweise knochenbildende Vorläuferzellen.

Klassifizierung

  • Zur BMP-Familie gehören als wichtigste Vertreter:
  • Daneben werden einige BMP-Homologe aus Drosophila (Decapentaplegic (DPP), 60A [glass bottom boat, gbb], Screw) und Xenopus levis (Vegetalizing factor 1 [Vg-1], Nodal, Lefty) ebenfalls in diese Familie eingeordnet.
  • Insgesamt umfasst die BMP-Familie bislang bereits über 40 Mitglieder.
  • Historisch bedingt ist die Nomenklatur der BMPs wie bereits erkennbar, relativ uneinheitlich. Für einige Proteine werden zudem mehrere Namen verwendet.
  • Die Klassifizierung wird zudem dadurch erschwert, dass BMPs in vivo sowohl Homo- als auch Heterodimere bilden.

Bezeichnung und Synonyme einiger BMPs

Name Synonyme Aminosäurereste Bemerkungen
BMP-1 Prokollagen-C-Proteinase    
BMP-2 BMP-2A 114
  • Subfamilie mit BMP-4
BMP-3 Osteogenin 110
  • Antiosteogen
BMP-3B GDF-10 110
  • Antiosteogen, zu 83 % identisch mit BMP-3
BMP-4 BMP-2B, DVR-4 116
BMP-5   138
  • Subfamilie mit BMP-6 und 7
BMP-6 DVR-6, Vgr-1 139
  • Subfamilie mit BMP-5 und 7
BMP-7 OP-1 139
  • Subfamilie mit BMP-5 und 6
BMP-8 BMP-8A, OP-2 139  
BMP-8B OP-3 139  
BMP-9 GDF-2 110  
BMP-10   108
  • Wird nur im embryonalen Herz exprimiert
BMP-11 GDF-11 109  
BMP-12 GDF-7, CDMP-3 104  
BMP-13 GDF-6, CDMP-2 120  
BMP-14 GDF-5, CDMP-1 120  
BMP-15 GDF-9B 125
  • Codierendes Gen in Säugern auf dem X-Chromosom lokalisiert
  • Enthält nur 6 Cysteinreste; die Bildung von Homo- und Heterodimeren (mit dem Homologen GDF-9) erfolgt daher ohne intermolekulare Disulfidbrücken
BMP-16   110  
BMP-17   224  
BMP-18   231  

Geschichtliches

  • 1965 beschrieb Urist erstmals die Induktion einer Knochenneubildung durch Implantation demineralisierten Knochens in Muskelgewebe. Bereits zuvor hatte es Vermutungen gegeben, dass bestimmte heterogene, diffundierbare Faktoren die Bildung von Knochengewebe auslösen könnten.
  • 1971 gelang es, aus Knochengewebe einen Glykoproteinextrakt zu isolieren, der knochenbildende Eigenschaften im Weichteillager besaß. Man bezeichnete ihn als "Bone Morphogenetic Protein".
    • Auch wenn der Name die Fähigkeit hervorhebt, ektopisch eine endochondrale Osteogenese zu induzieren, so sollte nicht vergessen werden, dass der Name eigentlich für ein Proteingemisch steht. Die einzelnen Vertreter der BMPs weisen dementsprechend untereinander sehr stark unterschiedliche Fähigkeiten auf, die z.T. keinerlei Bezug zu Knochen haben.
  • Erst Mitte der 1980er Jahre gelang es die ersten Proteine aus diesem Komplex in ausreichender Menge zu isolieren und 1988 zu charakterisieren. War die Struktur erst einmal aufgeklärt, so gelang es nun relativ schnell die ersten BMPs rekombinant herzustellen. Die so gewonnenen humanen Bone Morphogenetic Proteins werden als rhBMPs bezeichnet.

"BMPs der 2. Generation"

  • Als "BMPs der 2. Generation" bezeichnet man BMP-Mutanten mit verstärkter Bindung an die extrazelluläre Matrix und damit längerer Verweildauer im Gewebe. Erste Ergebnisse mit solchen BMP-Mutanten weisen nicht nur auf eine höhere osteoinduktive Potenz hin, sondern auch auf eine höhere Dichte des von ihnen induzierten Knochengewebes.

Beispiele

Substanzen

 

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