Nierenkörperchen
Synonym
Definition
- Das Nierenkörperchen ist Bestandteil des Nephrons
und dient der Bildung des Primärharns durch Abpressung von Wasser und
niedermolekularen Bestandteilen des Blutes aus den Glomeruli in die
Bowman-Kapsel.
Allgemeine Anatomie
Schematische Darstellung
Allgemeines
- Die Nierenkörperchen weisen einen Durchmesser von etwa 0,2 mm auf.
- Sie befinden sich alle in der Nierenrinde, entweder als kortikale
Glomeruli in der Außenrinde oder als juxtamedulläre Glomeruli
nahe der Grenze zur Marksubstanz.
- Jedes einzelne Nierenkörperchen setzt sich aus einem Kapillarknäuel, dem
Glomerulus, und der dieses umgebenden Bowman-Kapsel zusammen.
- Während das innere Blatt der Bowman-Kapsel die Kapillaren des Glomerulus
bedeckt, begrenzt das äußere Blatt den Kapselraum nach außen und geht in
den proximalen Tubulus über.
- Arterielles Blut gelangt durch ein zuführendes Gefäß, das Vas
afferens, in den Glomerulus und verlässt ihn durch ein abführendes
Gefäß, das Vas efferens, das ebenfalls zum arteriellen System
gerechnet wird, da aus diesem anschließend noch das peritubuläre
Kapillarnetz entspringt.
- Die beiden nahe zusammenliegenden Gefäße bilden den Gefäßpol des
Nierenkörperchens, ihm gegenüber liegt, am Beginn des Tubulusapparats,
der Harnpol.
Glomerulärer Filter
- Die Trennschicht zwischen Kapillarlumen und Innenraum der Bowman-Kapsel,
der glomeruläre Filter (auch "glomeruläres Sieb"), besteht auf
der Blutseite aus dem gefensterten Endothel der Glomeruluskapillaren
(Porengröße 50 - 100 nm), einer Basalmembran und dem Epithel des
inneren (viszeralen) Blatts der Bowman-Kapsel.
- Die Zellen des Epithels der Bowman-Kapsel sind an dieser Stelle zu Podozyten
umgeformt.
- Durch die vielfach miteinander verzahnten Fußfortsätze dieser Zellen
werden Filtrationsschlitze mit einer Weite von durchschnittlich etwa 25
nm (20 - 50 nm) gebildet.
- Diese sind mit Glykoproteinen ausgefüllt und zur Basalmembran hin mit
einer dünnen Membran, der Schlitzmembran (slit membrane),
verschlossen.
- Die Schlitzmembran stellt die wichtigste Filtrationsbarriere der
Niere dar: Ihre Porenweite beträgt nur etwa 5 nm.
- Gebildet wird die Schlitzmembran aus Nephrin-Proteinen, die am
Zytoskelett der Podozyten verankert sind.
Glomeruläre Filtration
- Aus dem durchfließenden Blutplasma wird im Glomerulus ein nahezu
eiweißfreies Ultrafiltrat, der Primärharn, abgepresst.
- Bereits ab einem effektiven Molekülradius von etwa 1,5 nm wird der
Durchtritt von Makromolekülen durch den glomerulären Filter zunehmend
eingeschränkt, bis schließlich bei einem Radius von ca. 4,4 nm die
Permeabilität ganz aufgehoben ist.
- Der Durchtritt anionisch geladener Makromoleküls aus den Kapillaren in
den Kapselraum wird außerdem durch die negative Ladung der Proteine in den
verschiedenen Schichten des Filters ("elektrischer Filter")
behindert.
- Uneingeschränkt filtrierbar sind Stoffe mit einem Molekulargewicht von
unter 5.000 Da, nach anderen Quellen auch unter 10.000 Da.
- Niedermolekulare Bestandteile liegen daher im Primärharn in der
gleichen Konzentration wie im Blutplasma vor.
- Für Substanzen mit einem Molekulargewicht zwischen 10.000 Da und 80.000
Da besteht eine beschränkte Filtrierbarkeit.
- Die kleinsten Plasmaproteine, die Albumine, besitzen ein
Molekulargewicht von etwa 70 000 Da und einen effektiven Molekülradius
von ca. 3,4 nm.
- Ihr Siebkoeffizient, d.h. das Verhältnis ihrer Konzentration
im Filtrat zu dem im Plasma, beträgt aufgrund ihrer negativen Ladung
nur etwa 0,0003.
- Andere, größere Proteine können das intakte Nierenfilter praktisch
nicht passieren.
- Außer von der Weite der Filtrationsschlitze hängt die glomeruläre
Filtration vor allem von dem in den Glomeruli herrschenden effektiven
Filtrationsdruck (Peff) sowie von der Zahl der
funktionstüchtigen Glomeruli ab.
- Der effektive Filtrationsdruck setzt sich zusammen als:
- Blutdruck in den Kapillaren (PKap) minus dem
kolloid-osmotischen Druck des Blutplasmas (PKod) und dem
hydrostatischen Druck in der Bowmanschen Kapsel (PBow).
- Da am Anfang der Glomeruluskapillaren der Blutdruck ca. 50 mmHg (48 - 55
mmHg), der kolloidosmotische Druck 25 mmHg und der hydrostatische Druck in
der Bowman-Kapsel 12 mmHg beträgt, ergibt sich dort ein effektiver
Filtrationsdruck von etwa:
Peff = 50 - 25 - 12 = 13 mmHg
- Bis zum Ende der Glomeruluskapillaren fällt der kapillare Blutdruck nur
wenig, dagegen steigt der kolloidosmotische Druck erheblich, da durch das
Abpressen des Ultrafiltrats die Konzentration der Plasmaproteine erhöht
wird.
- Aus diesem Grund ist bereits vor dem Ende der Kapillaren der effektive
Filtrationsdruck auf Null abgesunken.
Glomeruläre Filtrationsrate (GFR)
Allgemeines
- Das pro Zeiteinheit in sämtlichen Glomeruli abgepresste Filtratvolumen
wird als glomeruläre Filtrationsrate (GFR) bezeichnet. Sie beträgt im
frühen Erwachsenenalter beim Mann ca. 125 ml/min und bei der Frau ca. 110
ml/min.
- Pro Tag werden somit etwa 180 l Primärharn produziert, d.h. das gesamte
Plasmavolumen von etwa 3 l wird ca. 60mal am Tag dem Klärungsprozess der
Nieren unterworfen.
- Mit zunehmendem Alter nimmt die glomeruläre Filtrationsrate
kontinuierlich ab.
- Es handelt sich dabei um die Folge krankheitsbedingter Veränderungen
der Niere (z.B. durch Hypertonie,
Arteriosklerose, Glomerulonephritis
etc.), nicht um eine generelle Folge des Alters.
- Dies erklärt die hohen interindividuellen Unterschiede in der
Nierenfunktion bei älteren Menschen. Als Richtwert kann eine
glomeruläre Filtrationsrate von etwa 60 ml/min bei einem Patienten von
70 Jahren angenommen werden.
Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate
- Die Bestimmung der GFR kann mit Substanzen durchgeführt werden, die im
Glomerulus ungehindert filtriert und im Tubulusapparat weder rückresorbiert
noch sezerniert werden. In diesen Fällen ist ihre Clearance identisch mit
der GFR.
- Eine Substanz mit diesen Eigenschaften ist das Fructosepolysaccharid
Inulin.
- Obwohl die GFR und damit die Nierenfunktion am genauesten durch die
Bestimmung der Inulin-Clearance nach Infusion einer definierten Inulin-Menge
ermittelt werden können, wird in der Praxis für diese Untersuchung meist
die Creatinin-Clearance vorgezogen, da diese einfacher durchzuführen ist.
- Creatinin ist ein natürliches Produkt aus dem Muskelstoffwechsel,
dessen renales Ausscheidungsverhalten annähernd dem von Inulin
entspricht.
- Nur bei stark eingeschränkter Nierenfunktion macht sich eine geringe
tubuläre Creatinin-Sekretion etwas störend bemerkbar.
- Die Creatinin-Plasmakonzentration schwankt beim einzelnen Individuum
nur wenig, so dass aus ihr und der in 24 Stunden ausgeschiedenen
Creatinin-Menge die Creatinin-Clearance ermittelt werden kann.
- Es entfällt somit die bei Bestimmung der Inulin-Clearance
erforderliche Inulin-Infusion.
Regulation der glomerulären Filtrationsrate
- Voraussetzung für eine gleichmäßige glomeruläre Filtration ist eine
weitgehende Konstanz der Durchblutung bzw. des glomerulären Kapillardrucks.
- Dies wird durch die Autoregulation gewährleistet, an der sowohl das Vas
afferens als auch das Vas efferens beteiligt sind. Beide lassen sich auch
getrennt regulieren, was die glomeruläre Durchblutung und den glomerulären
Druck weitgehend unabhängig voneinander steuerbar macht.
- Die myogene Komponente der Autoregulation wird als Bayliss-Effekt
bezeichnet.
- Bei einer Steigerung des arteriellen Drucks in den Nierenarteriolen
werden Calciumkanäle geöffnet. Als Folge nimmt die intrazelluläre Ca2+-Konzentration
zu und der Tonus der glatten Gefäßmuskulatur steigt an. Es kommt zu Vasokonstriktion
mit dadurch bedingter Verminderung der Durchblutung.
- Eine weitere Komponente der Autoregulation ist die tubuläre
Rückkopplung (tubuloglomeruläres Feedback, TGF), also die Rückwirkung
des Tubulus auf den Glomerulus.
- Bei steigendem Druck in den Kapillaren des Glomerulus nimmt die
Filtrationsrate zu und es gelangt mehr Flüssigkeit in den Tubulus.
- Beim Überschreiten der Rückresorptionskapazität für Na+,
steigt daher die Konzentration von Na+ im frühdistalen
Tubulus an.
- Über einen noch nicht genau bekannten Mechanismus kommt es zur
Konstriktion des Vas afferens: Die Blutzufuhr wird gedrosselt, das
Primärharnvolumen sinkt.
- Im Körper sorgen daneben diverse Substanzen für eine Steuerung der
Nierendurchblutung und damit der glomerulären Filtration. Die wichtigsten
sind:
- Während Adenosin am Vas
afferens vasokonstriktorisch wirkt, erweitert ANP
das Vas afferens und verengt das Vas efferens.
- Dopamin und Prostacyclin
führen sowohl an der zuführenden als auch an der abführenden Arteriole zu
einer Dilatation und steigern dadurch die Nierendurchblutung.
- Durch die genannten Mechanismen wird gewährleistet, dass bei Variation
des arteriellen Mitteldrucks zwischen 80 und 180 mmHg der Druck in den
glomerulären Kapillaren weitgehend konstant bleibt und sich auch die GFR
kaum ändert.
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