Schlaf
Definition
- Schlaf ist eine Ruhephase, während der im Gehirn sich mehrfach
wiederholende Aktivitätsmuster ablaufen, die mit Hilfe des
Elektroenzephalogramms unterschieden werden können.
Bemerkungen
- Der Schlafende ist äußeren Reizen gegenüber unempfindlicher, außerdem ist
das Bewusstsein aufgehoben.
- Diese Punkte treffen auch auf die Narkose zu, dennoch bestehen zwischen
Schlaf und Narkose prinzipielle Unterschiede:
- Schlaf ist ein lebensnotwendiger, aktiver Prozess, bei dem in fast allen
Organen Regenerations- und Aufbauvorgänge ablaufen.
- Narkose ist hingegen eine allgemeine Hemmung zentralnervöser Funktionen.
- Im Schlaf sind die Schutzreflexe (z.B. Hustenreflex) erhalten, in der
Narkose aufgehoben.
- Ein Schlafender ist jederzeit erweckbar, ein Narkotisierter nicht.
Physiologische Grundlagen
Schlaf-Wach-Rhythmus
- Werden Freiwillige völlig von der Außenwelt isoliert, so bilden sie einen
Schlaf-Wach-Zyklus aus, der bei den meisten etwa 25 h dauert. Diese
Tagesperiodik entspricht ungefähr der natürlichen Dauer eines Tages.
- Diese zirkadiane Periodik bleibt bei Isolation von der Außenwelt über
Monate erhalten. Meist ist sie länger, bei manchen Menschen auch kürzer als 24
h.
- In Isolation können auch bizirkadiane Rhythmen, bestehend aus 14 h Schlaf
und 34 h Aktivität auftreten, die als völlig normale, also 24 h lange Tage
erlebt werden.
- Im Alltag wird die zirkadiane Periodik durch äußere Zeitgeber korrigiert,
v.a. durch den Hell-Dunkel- Wechsel von Tag und Nacht und die soziale
Umgebung.
- Innere Uhren gibt es aber nicht nur für Wachen und Schlafen, sondern auch
für viele andere Körperfunktionen. Diese Uhren sind meist untereinander
synchronisiert.
- Die Produktion von Urin hat nachts normalerweise ihr Minimum, und ca.
zur Mittagszeit ihr Maximum.
- Die Protonenkonzentration im Magen ist nachts höher als tagsüber.
- Schmerzen werden nachts stärker empfunden, während sie zwischen 12 und
18 Uhr am wenigsten empfunden werden.
- Die Konzentration von Glukokortikoiden erreicht morgens zwischen 6 und
10 Uhr ihr Maximum, während sie zwischen 22 und 2 Uhr am niedrigsten ist.
- Ohne äußere Zeitgeber kann es zur Entkoppelung der vegetativen Funktionen
(z.B. Körpertemperatur) kommen. Die vegetativen Funktionen laufen dann mit der
ursprünglichen Periodendauer von ca. 25 h weiter.
- Wird die zirkadiane Periodik einmalig in ihrem Rhythmus verschoben, z.B.
verkürzt durch Flug nach Osten oder verlängert durch Flug nach Westen, so
brauchen die zirkadianen Systeme etwa 1 Tag pro Zeitzone, um ihre normale
Phasenlage zu den äußeren Zeitgebern zurückzugewinnen.
- Dies führt zum bekannten Phänomen des Jet-Lag, wobei eine
Phasenverlängerung (Flug nach Westen) anscheinend leichter vom Körper
verkraftet wird.
Zentralnervöse Schrittmacher (Oszillatoren)
- Der zirkadiane Rhythmus von Schlafen und Wachen und viele damit
einhergehende Rhythmen physiologischer und psychologischer Funktionen werden
von endogenen Oszillatoren (inneren Uhren) im Zentralnervensystem (ZNS)
gesteuert.
- Diese inneren Uhren bestehen aus Neuronen, deren Membranstruktur auf noch
unbekannte Art und Weise die Membranleitfähigkeit rhythmisch verändert und
damit ihre Entladungsraten rhythmisch anordnet.
- Im Alltag werden sie durch äußere Zeitgeber korrigiert, v.a. durch den
Hell-Dunkel-Wechsel von Tag und Nacht.
- Eine wichtige Hirnstruktur für den zirkadianen Rhythmus von Wachsein und
Schlaf ist der Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus, der direkt oberhalb
des Chiasma opticum sitzt.
- Dafür sprechen folgende Beobachtungen:
- Läsionen des SCN führen bei verschiedenen Tieren zu Arrhythmie der
motorischen Aktivität, der Nahrungsaufnahme und des Trinkverhaltens. Die
Tiere schlafen, wachen und träumen weiter, aber in chaotischer,
nichtrhythmischer Abfolge.
- Elektrische Stimulation des SCN kann Phasenverschiebungen zirkadianer
Rhythmen zur Folge haben.
- Registrierungen der elektrischen Spontanaktivität von SCN-Neuronen
zeigen eine zirkadian organisierte Eigenrhythmik dieser Region, die auch im
isolierten SCN-Präparat für einige Zeit weiter besteht.
- SCN-Transplantate bewirken bei Empfängertieren, bei denen vorher eine
SCN-Läsion durchgeführt wurde, das Wiederauftreten zirkadianer Rhythmizität.
- Als Transmitter dient wahrscheinlich TGFα, das
im Tierversuch den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflusst.
- Vom "Schlaf-Wach-Zentrum" bestehen Verbindungen zu anderen Hirnstrukturen
wie Hypothalamus, Retina und Strukturen im Kleinhirn.
Beteiligte Hirnareale
- Über die neurophysiologischen Vorgänge, die dem Schlaf-Wach-Rhythmus und
dem Ablauf der Schlafphasen zugrunde liegen, sind zwar zahlreiche
Einzeltatsachen bekannt, doch ist das Zusammenwirken der einzelnen
Teilbereiche des Zentralnervensystems beim Wachen und Schlafen noch nicht voll
verstanden.
- Sicher ist, dass es sich beim Schlaf nicht um eine allgemeine Dämpfung
zentralnervöser Funktionen handelt, sondern dass das Aktivitätsverhältnis von
bestimmten Neuronengruppen verändert ist.
- Die komplexen physiologischen Vorgänge werden nicht von einem einzigen
Schlafzentrum gesteuert, vielmehr sind mehrere Hirnareale daran beteiligt:
- Aufsteigender Teil der Formatio reticularis ("Wach-System")
- Nach Abtrennung des Hirnstamms vom Zwischenhirn verfällt ein Säugetier
in einen komaähnlichen Tiefschlaf, aus dem es nicht mehr zu wecken ist.
- Eine Durchtrennung der Medulla oblongata hat dagegen keinen Effekt auf
den Schlaf-Wach-Rhythmus des Tieres.
- Dies bedeutet, dass für den Weckeffekt ein zwischen den beiden
Schnittebenen liegendes System verantwortlich sein muss.
- Dieses System, die Formatio
reticularis des Mittelhirns, ist entscheidend am Zustandekommen der
Wachzustände beteiligt.
- So ist schon seit längerer Zeit ist bekannt, dass eine Reizung der
Formatio reticularis bei
schlafenden Katzen eine sofortige Weckreaktion (arousal reaction)
hervorruft.
- Vermittelt wird diese Reaktion durch das aufsteigende retikuläre
aktivierende System (ARAS).
- Man nahm daher zunächst an, dass der Wachzustand durch die
Aktivierung und der Schlaf durch die Deaktivierung des ARAS zustande
kommt.
- Der alleinigen Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus durch die
Formatio reticularis
widersprechen aber neuere experimentelle Befunde.
- Als dienzephale Fortsetzung des retikulären Aktivierungssystems kann
der Nucleus reticularis des Thalamus betrachtet werden (afferente
Verbindungen). Er weist Verbindungen zu fast allen Regionen des Thalamus
auf und kann somit sowohl auf einzelne lokale Kerne des Thalamus wie auch
auf das Gesamtsystem des Aktivierungszustandes des Thalamus und damit des
Kortex Einfluss nehmen.
- Direkte Verbindungen zum Neokortex scheinen nicht zu bestehen, die
Aktivierung des Neokortex muss daher über den Thalamus erfolgen.
- Die efferenten Verbindungen enden an den spinalen Motoneuronen und
halten dort deren tonische Aktivierung im Wachzustand aufrecht.
- Cholinerge und adrenerge Kerngebiete im Hirnstamm
- Durch Läsionsexperimente, pharmakologische Interventionen und
Einzelkanalableitungen konnten neuronale Strukturen identifiziert werden,
die an der Auslösung des REM- und des
NREM-Schlafs beteiligt sind.
- Während aminerge Neurone ihre Entladungsrate im
REM-Schlaf verringern oder einstellen
(z.B. die noradrenergen Neurone des Locus coeruleus, die für das
Abschalten des REM-Schlafs
mitverantwortlich sind) erreichen cholinerge Neurone im
REM-Schlaf maximale Entladungsraten
(z.B. die cholinergen Riesenzellen des pontinen Haubenfeldes, die den
REM-Schlaf einschalten und unterhalten).
- Für das Auslösen des REM-Schlafs
scheinen auch aminerge Neurone aus dem Subcoeruleus Bereich verantwortlich
zu sein.
- Eine Läsion des Subcoeruleus eliminiert den
REM-Schlaf.
- Raphe-Kerne mit Serotonin
als Neurotransmitter
- Eine gesteigerte Aktivität der Raphe-Kerne bewirkt über die
Ausschüttung von Serotonin
eine Hemmung des aufsteigenden Teils der
Formatio reticularis.
- Eine Zerstörung der Raphe-Kerne führt aber nur zu kurzfristiger
(einige Tage) Schlaflosigkeit.
- Ein Kern aus histaminergen Neuronen im Bereich des hinteren
Hypothalamus (tuberomamillärer Nucleus)
- Die histaminergen Neurone sind während des Wachzustands tonisch aktiv.
- Während des NREM-Schlafs sind sie
weniger aktiv, während des REM-Schlafs
inaktiv.
- Ein Kern aus GABAergen Neuronen im Bereich des vorderen Hypothalamus
- Die GABAergen Neurone sind während des Schlafs aktiv und hemmen die
histaminergen Neurone im Bereich des hinteren Hypothalamus.
- Bei Patienten mit einem Tumor im Hypothalamus wurden Schlafstörungen
und irreguläre Schlaf-Wach-Muster beobachtet.
- Das limbische System
- Eine gesteigerte Aktivität des limbischen Systems bewirkt eine
Stimulation des aufsteigenden Teils der
Formatio reticularis.
- Eine Hemmung des limbischen Systems mit GABA oder mit Substanzen, die
die Wirkung von GABA verstärken, hat daher einen schlafanstoßenden Effekt.
- Neben anatomischen Strukturen lassen sich auch einige weitere endogene
Substanzen mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus in Verbindung bringen:
- Als schlaffördernde endogene Peptide wurden u.a. Faktor S sowie DSIP
(delta sleep inducing peptide) und VIP nachgewiesen.
- Noradrenalin, aus den
Loci coerulei freigesetzt, fördert über β-Adrenozeptoren
den REM-Schlaf.
- Adenosin ist sehr
wahrscheinlich ebenfalls an der Induktion und Aufrechterhaltung des Schlafes
beteiligt.
Ablauf des Schlafes
- Die Schlafphasen werden unter physiologischen Bedingungen immer in
derselben Abfolge von NREM-Schlaf zum
REM-Schlaf durchschnitten.
- Pro Nacht laufen etwa 4 bis 5 solcher Schlafzyklen ab.
- Die Charakteristika der einzelnen Schlafarten sind bei den beiden
unterschiedenen Schlafarten aufgeführt:
Einfluss des Alters auf den Schlaf
- Die Gesamtschlafzeit sinkt im Verlauf des Lebens ab, der relative Anteil
des NREM-Schlafs ("Tiefschlaf") wird
außerdem erheblich kürzer.
- Das Neugeborene verbringt einen erheblichen Teil des Tages im REM-Schlaf
(50 %), der dann auf ca. 20 % (3. - 5. Lebensjahr) absinkt.
- Der hohe Anteil des REM-Schlafs bei
Säugling und Kleinkind hat zu der Vermutung geführt, dass diese Perioden
erhöhter neuronaler Aktivität (desynchronisiertes EEG ähnlich wie bei
Aufmerksamkeit) für die Entwicklung des ZNS wichtig sind, da bei Säuglingen
und Kleinkindern äußere Reize noch weitgehend fehlen. Das "Träumen" ersetzt
als innere Reizung den mangelnden externen Einstrom.
- Stadium I und II nehmen ab dem 14. Lebensjahr zu, während Stadium III und
IV im Erwachsenenalter kontinuierlich abnehmen.
Folgen von Schlafentzug
- Die Bedeutung der Schlafphasen ist bis heute offen. Sowohl
REM- als auch
NREM-Schlaf sind aber überlebenswichtig.
- Totale Schlafdeprivation über längere Zeit führt zum Tod bei Mensch und
Tier.
- Beim Menschen sind ersten 2 - 3 NREM-REM-Phasen offensichtlich essentiell
(Kernschlaf). Dagegen führt Deprivation der letzten 3 Schlafstunden kaum zu
merkbaren Störungen (Optional- oder Füllschlaf).
- Die psychischen und gesundheitlichen Auswirkungen auch langer
Schlaflosigkeit (z.B. 10 Tage und Nächte) bei erwachsenen Menschen sind
relativ gering.
- Nach 4 Nächten treten bei einigen Personen Wahrnehmungsverzerrungen und
ein leichtes Nachlassen der Vigilanz (Daueraufmerksamkeit) auf.
- Nach nur wenigen Stunden Erholungsschlaf, in dem zuerst
NREM-Schlaf nachgeholt wird, tritt völlige
Erholung ein. Es ist also keine quantitative Schlafnachholung notwendig.
- Allerdings ist es im Laboratorium beim Menschen praktisch unmöglich,
längere Phasen völliger Schlaflosigkeit zu erreichen. Bereits nach wenigen
Nächten "holen" sich die Versuchspersonen durch extrem kurze, aber zunehmend
häufiger werdende Mikroschlafepisoden "ihren" Schlaf. Das Schlafbedürfnis
wird zunehmend übermächtig.
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