Angioödem

Synonyme

  • Angioneurotisches Ödem, Angiooedema [engl.], Quincke-Ödem

Definition

  • Als Angioödem bezeichnet man eine rasche Schwellung (Ödem) der Haut, Schleimhaut und submuköser Gewebe, die Stunden bis Tage anhalten kann und meistens als Folge einer allergischen Reaktion auftritt, z.T. aber auch als Nebenwirkung einiger Medikamente (z.B. ACE-Hemmer) auftreten kann.

Bemerkungen

  • Meist tritt das Angioödem zusammen mit einer Urtikaria auf, bei der es zu Quaddelbildungen und somit flüchtigen Ödemen der papillären Dermis kommt. 
  • Etwa 50 % aller Urtikaria-Fälle gehen mit einem Angiödem einher, nur etwa 10 % aller Angioödeme treten isoliert auf.
  • Daneben existiert eine erbliche Form des Angioödems (heredidäteres Angioödem), das auf einem Mangel an dem im Blut enthaltenen Protein C1-Inhibitor beruht.
  • Bei einem raschen Fortschreiten des Angioödems sind Notfallmaßnahmen einzuleiten, da die Gefahr einer Obstruktion der Atemwege und nachfolgendem Ersticken besteht. Als Therapie der Wahl dient hier die Applikation von Epinephrin, vgl. der beim allergischen Schock.

Symptome

  • Schwellungen der Haut und Schleimhäute (innerhalb von Minuten auftretend, insbesondere an Augenlidern, Lippen, Kinn, Wangen oder Genitalien) vorkommt. Bei Beteiligung der Luftwege, insbesondere der Stimmritze, tritt eine lebensbedrohliche Atemnot auf, die eine sofortige Behandlung erfordert.
  • In manchen Fällen fand kurz zuvor eine Exposition gegenüber einem Allergen (z.B. Erdnuss) statt, und es entwickelt sich gleichzeitig eine Nesselsucht (Urtikaria), oftmals ist die Ursache jedoch idiopathisch (unbekannt). Die Schwellung kann mit Juckreiz verbunden sein. In den betroffenen Bereichen kann es auf Grund einer Kompression der Nerven auch zu einer leicht herabgesetzten Empfindungsfähigkeit kommen.
  • In schweren Fällen tritt ein Stridor der Atemwege mit keuchenden Atemgeräuschen beim Einatmen und abnehmenden Sauerstoffwerten auf. Eine Intubation und rasche Behandlung mit Adrenalin sowie mit Antihistaminika ist in diesen Situationen erforderlich.
  • Bei hereditärem Angioödem (HAE) liegt häufig keine direkte identifizierbare Ursache vor, obgleich ein kleines Trauma und andere Reize Attacken verursachen können. Meist ist es nicht mit Juckreiz oder Nesselsucht verbunden, da es sich nicht um eine allergische Reaktion handelt. Bei Patienten mit HAE kann es auch zu immer wiederkehrenden Episoden (meist als 'Attacken' bezeichnet) von inneren Schwellungen kommen, die schwere Bauchschmerzen verursachen, meist begleitet von starkem Erbrechen, Schwäche und in manchen Fällen verbunden mit wässrigem Durchfall sowie einem nicht-erhabenen, nicht juckenden fleckigen/kreisförmigen Ausschlag. Diese Magenattacken können im Durchschnitt ca. 1-5 Tage andauern und einen Krankenhausaufenthalt zur aggressiven Schmerztherapie und Flüssigkeitszufuhr erfordern. Abdominale Attacken führen bei den Patienten nachweislich auch zu einem starken Anstieg der Leukozytenzahl (weiße Blutkörperchen), meist im Bereich von 13-30.000. Sobald die Symptome nachzulassen beginnen, fällt die Leukozytenzahl langsam ab und normalisiert sich wieder, wenn die Attacke abklingt.
  • Das hereditäre Angioödem verursacht auch Schwellungen in verschiedensten anderen Bereichen, am häufigsten an den Extremitäten, den Genitalorganen, im Bereich von Hals, Rachen und Gesicht. Der mit diesen Schwellungen verbundene Schmerz reicht vom leichten unangenehmen bis zum quälenden Schmerz, je nachdem, wo er lokalisiert ist und wie stark er ausgeprägt ist.

Ursachen

  • Meistens tritt das Quincke-Ödem im Rahmen einer Nesselsucht (Urtikaria) auf, z. B. bei allergischen Reaktionen.
  • Selten handelt es sich um einen angeborenen Defekt eines C1-Esterasehemmers und damit um ein autosomal dominant vererbtes Hereditäres Angioödem (HAE).
  • Auch ein erworbenes Angioödem mit Mangel des C1-Esterasehemmers infolge einer Autoimmunerkrankung infolge von z. B. C1-INH Antikörper, eines Tumors (dann AAE genannt, für engl. "aquired angio edema") kann vorkommen.
  • Möglich ist auch eine unerwünschte Arzneimittelwirkung, z. B. bei ACE-Hemmer (verlängert die Wirkzeit des gefäßerweiternden Bradykinins).
  • Manchmal ist ein Quincke-Ödem auch physikalisch bedingt durch Druck, Vibrationen oder Kälte.

Diagnose

  • Die Diagnose erfolgt ausgehend vom klinischen Bild. Wenn der Patient stabilisiert ist, können Komplementspiegel, vor allem die Werte für C1-Inhibitor und ein Mangel an den Komplementfaktoren 2 und 4 auf das Vorliegen eines Hereditären Angioödems hinweisen (siehe unten).
  • Da bei vielen HAE-Patienten die Erkrankung über Jahre hinweg nicht diagnostiziert wird, bzw. viele falsche Diagnosen gestellt werden, kommt es oftmals zu unnötigen Bauchoperationen. Die verunsicherten Ärzte führen häufig eine Laparoskopie zur diagnostischen Abklärung durch, und in seltenen Fällen werden Darmabschnitte entfernt.

Pathophysiologie

  • Der abschließende gemeinsame Weg zur Entwicklung eines Angioödems ist offenbar die Aktivierung des Bradykininwegs. Dieses Peptid ist ein potenter Vasodilatator, der zu einer raschen Flüssigkeitsansammlung im Interstitium führt. Dies tritt am deutlichsten im Gesicht zutage, wo die Haut über verhältnismäßig wenig stützendes Bindegewebe verfügt, und sich ein Ödem leicht entwickeln kann. Bradykinin wird von verschiedenen Zelltypen als Reaktion auf zahlreiche unterschiedliche Reize freigesetzt; es ist auch ein Schmerzmediator.
  • Verschiedene Mechanismen, die die Bildung oder den Abbau von Bradykinin störend beeinflussen, können zum Angioödem führen. ACE-Hemmer blockieren die Funktion der Kininase II, des Enzyms, das Bradykinin abbaut. Beim hereditären Angioödem wird die Bildung von Bradykinin über eine kontinuierliche Aktivierung des Komplementsystems auf Grund eines Mangels eines seiner hauptsächlichen Inhibitoren, C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH), sowie durch die kontinuierliche Produktion von Kallikrein, einem anderen durch C1-INH gehemmten Prozess, verursacht. Dieser Serinproteasehemmer (Serpin) hemmt normalerweise die Umwandlung von C1 zu C1r und C1s, die - wiederum – andere Proteine des Komplementsystems aktivieren. Außerdem hemmt er verschiedene Proteine der Gerinnungskaskade, obgleich die Auswirkungen seines Mangels auf die Entwicklung von Hämorrhagie und Thrombose begrenzt zu sein scheinen.
  • Es gibt drei Arten des hereditären Angioödems:
    Typ 1 – verminderte Spiegel von C1-INH (85%);
    Typ 2 – normale Spiegel, jedoch beeinträchtigte Funktion von C1-INH (15%);
    Typ 3 – keine nachweisbare Anomalie von C1-INH, tritt als X-chromosomale dominant vererbte Störung auf und betrifft daher hauptsächlich Frauen; sie kann durch eine Schwangerschaft und die Anwendung von oralem Kontrazeptivuma verschlimmert werden (ursprünglich von Bork et al im Jahr 2000 beschrieben; die genaue Häufigkeit ist ungewiss);
  • Ein Angioödem kann auf einer Antikörperbildung gegen C1-INH beruhen; dies ist eine Autoimmunerkrankung. Dieses erworbene Angioödem ist mit der Entwicklung eines Lymphoms verbunden.
  • Der Verzehr von Nahrungsmitteln, die selbst als Vasodilatatoren wirken, wie Alkohol oder Zimt, kann die Wahrscheinlichkeit einer Angioödem-Episode bei anfälligen Patienten erhöhen. Wenn die Episode überhaupt nach dem Verzehr dieser Nahrungsmittel auftritt, kann sich der Beginn über Nacht oder für einige Stunden verzögern; dies erschwert es etwas, einen Zusammenhang mit dem Verzehr dieser Nahrungsmittel herzustellen.
  • Die Anwendung von Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure kann die Wahrscheinlichkeit einer Episode bei manchen Patienten erhöhen. Die Anwendung von Paracetamol (Acetaminophen) führt meist zu einem geringeren, jedoch noch vorhandenen Anstieg der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Episode.

Komplikationen

  • Das schmerzhafte Ödem beeinträchtigt das Allgemeinbefinden und kann zu Schwierigkeiten beim Essen, Trinken und Sprechen, sowie zu Sehstörungen führen. Schwellen die Atemwege oder die Stimmritze an, kann das unbehandelt zum Tod durch Ersticken führen.
  • Die sichtbare Schwellung beeinträchtigt das Aussehen und kann soziale Folgen haben.

Therapie

  • Bei Befall der Luftwege werden Glukokortikoide (Kortison-ähnliche Stoffe) und Allergiemedikamente intravenös verabreicht; in schweren Fällen ist eine Intubation erforderlich. Ansonsten erfolgt die Behandlung wie bei der Nesselsucht. Bei C1-INH Mangel sind sowohl Glukokortikoide wie auch Antihistaminika wirkungslos. Kurzzeitig zeigen Epinephrine (Adrenalin) durch die vasokonstriktive Wirkung abschwellende Wirkung. Eine effektive Therapie ist aber nur durch C1-INH Ersatz möglich, falls nicht vorhanden, frisch eingefrorenes Blutplasma (fresh frozen plasma) FFP.
  • Zunächst muss man grundsätzlich zwischen Histamin-induzierter Urtikaria, und den Bradykinin-induzierten Angioödemen unterschieden werden. Während für die allergisch bedingten Ödeme Antihistaminika und Cortison zur Verfügung stehen, zeigen diese Medikamente bei den Bradykinin-induzierten Angioödemen keine oder allenfalls nur geringe Wirkung.
  • Bradykinin kann durch genetisch bedingte vermehrte Bradykinin-Bildung wie bei hereditären Angioödemen (HAE) mit C1 Esterase-Inhibitor-Mangel und durch Abbaustörungen (z. B. infolge ACE-Hemmer (ACEH)) ansteigen.
  • Der C1-Esterase-Inhibitor hemmt in seiner Funktion die Bildung des Bradykinins und Patienten mit entsprechendem C1-INH Mangel (Typ 1, 85 %) oder Funktionsstörung (Typ 2, 15 %) erleiden ihren gesamten Leben lang rezidivierende Angioödeme, die an der Haut und den Schleimhäuten (Kopf-Hals, Abdomen) auftreten können (Prävalenz 1:10000-1:50000). Abdominelle Angioödeme treten z. T. mit Übelkeit und Erbrechen auf. Manifestationen der oberen Atemwege (Zunge, Pharynx, Kehlkopf) führen zu Dyspnoe, Heiserkeit, Schluckstörung bis hin im Einzelfall zum Erstickungstod. BK-induzierte Angioödeme gehen typischerweise ohne juckende Urtikaria einher. Die Therapie unterscheidet sich grundlegend von anderen Ödemen, die oftmals histaminerg sind. Entscheidend ist die fehlende oder nur geringe Wirksamkeit von Cortison oder Antihistaminika. Während HAE-Patienten bislang im akuten Anfall i. v. C1 INH-Konzentrate (humanes Blutplasmaprodukt) erhielten, existiert für ACEH induzierte Angioödeme bislang keine spezifisch wirksame, Pharmakotherapie.
  • Derzeit findet bei HAE-Patienten mit akuten Angioödemen eine internationale Studie mit dem Bradykinin B2-Rezeptor-Antagonisten Icatibant statt. Icatibant ist ein synthetisch hergestelltes Protein, welches das Bradykinin von den jeweiligen Rezeptoren (B2) der Blutgefäßwände verdrängt und somit die ödematöse Wirkung des Bradykinins verhindert. Für die ACE-Hemmer induzierte Angioödeme wäre dies die erste kausale Pharmakotherapie überhaupt.

Differentialdiagnose

  • Die meist im frühen Kindesalter auftretende erythropoetische Protoporphyrie geht nach Sonnenexposition mit starken Schwellungen einher. Als häufige Fehldiagnose wird eine allergische Reaktion mit Ausbildung eines Quincke- Ödems erstellt.

Geschichtliches

  • Dr. Heinrich Irenaeus Quincke beschrieb erstmals das klinische Bild des Angioödems 1882. Sir William Osler bemerkte 1888, dass einige Fälle eine hereditäre (erbliche) Grundlage haben können; er prägte den Begriff hereditäres angioneurotisches Ödem.
 

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