Pruritus
Synonym
Definition
- Hautjucken mit zwanghaftem Kratzen, an dessen Zustandekommen und
Verarbeitung die Schmerzrezeptoren, das vegetative Nervensystem, die
Hirnrinde, die Psyche, bestimmte Mediatoren
(z.B. Histamin, Trypsin,
Kallikrein), das Gefäßsystem der Haut und die inneren Organe beteiligt
sind.
Bemerkungen
- Juckreiz hat normalerweise eine wichtige physiologische Alarmfunktion. So
warnt er z.B. vor schädigenden Noxen wie Parasiten, Insekten,
Pflanzenbestandteilen oder Chemikalien, um zu veranlassen, dass diese
schnell und vollständig von der Hautoberfläche entfernt werden. In diesen
Fällen ist der Juckreiz meist nur kurzfristig und lässt nach Beheben der
Ursache rasch nach.
- Problematischer ist der generalisierte chronische Pruritus, bei dem ohne
eine der eben beschriebenen Ursachen ein andauernder Juckreiz besteht. Diese
Form ist oft nur schwer therapeutisch zu lindern, so dass die Patienten sich
zur Unterdrückung des Juckreizes häufig kratzen was weitere Probleme
ergeben kann.
- Bis in die 1990er Jahre wurde Pruritus häufig noch als unterschwelliger
Schmerzreiz angesehen. Inzwischen ist der Juckreiz als eigenständige
Sinneswahrnehmung anerkannt. 1997 wurde in der Haut auch eine Subpopulation
nicht-myelinisierter, sehr langsam leitender C-Nervenfasern identifiziert,
die ausschließlich auf Histamin reagieren und nun für den
Histamin-induzierte Juckreiz verantwortlich gemacht werden.
Physiologische Grundlagen
- Als Nozizeptoren des Juckreizes dienen neben H1-Rezeptoren auch
Vanilloid 1-, Proteinase 2- und IL-6-Rezeptoren freier Nervenendigungen
markloser, sensorischer C-Nervenfasern der Papillarkörper an der Grenze
zwischen Endodermis und Dermis.
- Diese Nervenfasern können außer auf die Erregung der genannten
Rezeptoren durch die entsprechenden Mediatoren (Histamin, Capsaicin,
Protonen, Tryptase, IL-6, ...) auch durch andere, insbesondere chemische,
aber auch physikalische und mechanische Reize stimuliert werden. Die auf
eine hinreichend starke Stimulation erfolgende Depolarisation wird ins ZNS
weitergeleitet, wo sie in den Eindruck des Juckreizes umgesetzt wird.
- Auch andere Signalpeptide, z.B. Substanz P, können durch die von
ihnen induzierte Histaminfreisetzung Juckreiz induzieren.
- Andere Rezeptoren an Nervenfasern der Haut, z.B. Kälte-, Menthol- und
Cannabinoid-Rezeptoren, scheinen eine direkte Unterdrückung des Juckreizes
bewirken zu können.
Ursachen
Aquagener Pruritus, Asteatose, Prophyrien, polymerphe
Lichtdermatose, Helminthen, Urtikaria, Mastozytosen, Morbus Grover,
Dermatitis herpetiformis Duhring |
Chronische Niereninsuffizienz, Erkrankungen der Leber und
Gallenwege (z.B. biliäre Zirrhose, primär sklerosierende Cholangitis,
Hepatitis C, medikamentöse Cholestase), Hyperthyreose, Hypothyreose,
Hyperparathyreoidismus, Diabetes mellitus, Malabsorptionssyndrom,
Anorexie, Gluten-Enteropathie |
Infektionen mit HIV, Parasiten und Helicobacter pylori |
Eisenmangel, Hämochromatose, Polyzythämia vera,
essentielle Thrombozytose, Morbus Hodgkin, Non-Hodgkin-Lymphome,
Plasmozytom, Karzinoid, systemische Mastozytose |
Diverse Karzinome u.a. Cervixkarzinom, Prostatakarzinom,
Dickdarmkarzinom |
Neuropathien unterschiedlicher Genese, Multiple Sklerose,
Angst, Stress, Übermüdung, Depressionen, Schizophrenie, Anorexia
nervosa |
Klinik
- Aufgrund der vielen verschiedenen Ursachen des Juckreizes ist auch das
genaue klinische Bild des Pruritus relativ variabel bezüglich Qualität,
Reizbeantwortung und Therapieansprechen.
- Typisch ist der mehr oder minder starke Juckreiz, der lokalisiert oder
generalisiert auftreten, isoliert oder von einem Brennen überlagert sein
kann, ständig oder nur zu bestimmten Zeiten bzw. in bestimmten Situationen
auftritt.
- Der Juckreiz kann durch den Patienten unterschiedlich beantwortet werden.
So kann er z.B. kratzen, scheuern, reiben, kneten oder drücken.
- Abhängig von der Art und Dauer dieser Reizbeantwortung kommt es an den
betroffenen Stellen zu Hautveränderungen unterschiedlicher Form und
Ausmaße. So sind strichförmigen Rötungen, Blutungen, Krusten und
Vernarbungen, Hyperpigmentierungen, Lichenifikation (z.B. Lichen simplex
chronicus, Lichen amyloidosus), Prurigo nodularis, Prurigo simplex,
makulärer Amyloidose und Pyodermien möglich.
- Die mechanische Reizbeantwortung führt in einen Teufelskreis, da sie
lokale Entzündungsprozesse initiiert, die wiederum zur Ausschüttung
von Histamin und anderen Substanzen führt, die direkt oder indirekt
Juckreiz hervorrufen können.
Formen
Pruritus cum materia (sekundärer Pruritus)
- Bezeichnung für Pruritus als Begleiterscheinung von Hauterkrankungen
unterschiedlicher Art bzw. mit sichtbaren Veränderungen der Haut.
- Eine Auswahl möglicher Dermatosen als Ursachen von Pruritus ist in
nachfolgender Tabelle aufgeführt:
Atopische Dermatitis, allergische und irritative Kontaktdermatitis,
Psoriasis, seborrhoische Dermatitis, Morbus Grover, Mastozytose,
Urtikaria |
Dermatomykosen, bakterielle und virale Dermatosen,
Skabies, Pediculosis, Insektenstiche, Follikulitiden, Epizoonosen |
Kutanes T-Zell-Lymphom, kutanes B-Zell-Lymphom, leukämische
Infiltrate |
Polymorphe Exantheme der Schwangerschaft, Pemphigoid
gestationis, Prurigo gestationis, pruriginöse Follikulitis,
Vulvovaginitis (bakteriell, mykotisch oder viral) |
- Von den in der Tabelle aufgeführten Schwangerschaftsdermatosen ist der
Pruritus gravidarum abzugrenzen, der meist nicht von Hautveränderungen
begleitet wird.
- Arzneimittelexantheme sind ebenfalls häufig mit Juckreiz verbunden. Nach
Abklingen der Exantheme lässt normalerweise auch der Juckreiz rasch nach.
Im Umkehrschluss kann Pruritus aber auch ohne Arzneimittelexanthem
auftreten.
- Eine Vielzahl von Arzneistoffen kann Pruritus induzieren oder zumindest
unterhalten, wie nachfolgende Auswahl zeigt:
Pruritus sine materia
- Juckreiz ohne primäre sichtbare Hautveränderungen
- Bei Erkrankungen innerer Organe (z.B. Cholestasesyndrom, biliäre
Zirrhose, Niereninsuffizienz, Urämie, Diabetes
mellitus, Leukämie, Lymphome u.a. maligne Tumoren) oder ohne
nachweisbare auslösende Faktoren (ca. 50 % der Fälle).
Therapie
Allgemeines
- Soweit möglich und identifizierbar, sollte die Grunderkrankung therapiert
werden. Daneben ist eine symptomatische Therapie des Juckreizes selbst
durchzuführen.
- Mögliche Provokationsfaktoren (z.B. Alkohol, scharfe Gewürze, heiße
Getränke, Wolle) sollten vermieden werden. Häufige Bäder oder
Eisumschläge können die Haut austrocknen, was den Juckreiz oft noch
verstärkt, oder sogar der eigentliche Auslöser sein kann und sollten daher
ebenfalls vermieden werden.
- Bei zu trockener Haut (Xerosis cutis) kommt es häufig zum
asteatotischen Ekzem. Hier ist eine mindestens zweimal tägliche
Applikation rückfettender, möglichst indifferenter Salben oder Cremes
zu empfehlen. Auch harnstoffhaltige Zubereitungen sind zu empfehlen.
- Ist die Hauttrockenheit einziger Grund für das Auftreten des
Juckreizes und des Ekzems, so kann so bereits eine völlige Remission
erreicht werden.
- Psychologische Begleitmaßnahmen wie Stressvermeidung, autogenes Training
o.ä. sind oft sinnvoll.
- Zur kurzfristigen Linderung des Juckreizes können kühlende Umschläge
aus schwarzem Tee empfohlen werden. Wichtig ist hier wiederum auf eine
nachfolgende Rückfettung zu achten.
Medikamentöse Therapie
- Lokaler Einsatz juckreizstillender Substanzen, z.B.
- Auch lokal applizierte Glukokortikoide der Klassen 3 und 4 sind
kurzfristig sinnvoll anwendbar.
- Da Histamin oft nur eine untergeordnete Rolle spielt, sind Antihistaminika
oft nicht besonders wirksam. Ältere Substanzen wie Clemastin oder
Hydroxyzin können jedoch - wie Tranquilizer oder Antidepressiva (z.B.
Doxepin, Mirtazepin) - eingesetzt werden um mit teilweise recht gutem Erfolg
die zentrale Empfindung des Juckreizes zu beeinflussen.
- Systemisch eingesetzte Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Zafirlukast)
oder Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (z.B. Paroxetin) haben in Studien z.T.
ebenfalls gute juckreizstillende Wirkungen erzielt. Gleiches gilt für
Naltrexon.
- Allgemein ist die medikamentöse Therapie stets auf den jeweiligen
Patienten individuell abzustimmen.
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