Benzodiazepine

Übersicht


Medizin

Typ

Definition

Untertypen

Indikationen

Kontraindikationen

Absolute Kontraindikationen

Relative Kontraindikationen

Arzneimittelinteraktionen

  • Zentral dämpfende Substanzen
    • Die zentral dämpfenden Wirkungen vieler Pharmaka und von Ethanol werden verstärkt. Dabei sind lebensbedrohliche Zustände möglich!

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

  • Überhangeffekte ("hang over")
  • Alpträume
  • Anterograde Amnesie
    • Bei peroraler Anwendung vor allem bei schnell wirkenden Substanzen, z.B. Midazolam, Triazolam. Die Einnahme sollte daher direkt vor dem Schlafengehen erfolgen.
    • Betroffene erinnern sich am folgenden Tag womöglich nicht mehr an Vorkommnisse, die im Zeitraum zwischen der Tabletteneinnahme und dem Einschlafen passierten (antegrade Amnesie bei schnell wirkenden Agonisten, z.B. Midazolam, Triazolam). Benzodiazepine sollten daher erst unmittelbar vor dem Zubettgehen eingenommen werden.
  • Erhöhte Schlafapnoe
    • Die Dauer der apnoischen Phasen nimmt besonders bei älteren Patienten zu, die bereits zuvor an Schlafapnoe leiden.
    • Allgemein kommt es zu einer Verminderung der alveolären Ventilation.
  • Verwirrtheit
  • Appetitsteigerung, Gewichtszunahme
  • Zyklusstörungen
  • Paradoxe Reaktionen sind möglich; dann Euphorie, Agitiertheit, Schlaflosigkeit und Erregung
    • Vor allem bei älteren Patienten.

Anwendung

Patientenhinweise

Achtung

  • Die adäquate Reaktion auf äußere Reize wird durch Benzodiazepine herabgesetzt. Das Reaktionsvermögen ist vermindert. Patienten sollten nach der Applikation keine Fahrzeuge mehr führen, oder an gefährlichen Maschinen arbeiten.
  • Benzodiazepinderivate weisen ein relativ hohes Suchtpotential auf. Sie sollten daher möglichst niedrig dosiert werden. Außerdem sollte versucht werden, die Dosierung schon in der ersten Behandlungswoche zu reduzieren, bzw. die Behandlungsintervalle zu vergrößern.
  • Im Allgemeinen sollten Benzodiazepine nicht länger als 3 Wochen verordnet werden. Die Therapie sollte ausschleichend beendet werden.
  • Bei chronischer Anwendung kommt es zu Gewöhnung, die durch Kumulation verdeckt sein kann.

Pharmakologie

Pharmakodynamik

Wirkungen

  • Anxiolyse
  • Sedation (bis zur Schlaferzwingung)
  • Zentrale Muskelrelaxation
  • Antikonvulsion

Wirkmechanismen

  • Benzodiazepine wirken an spezifischen "Benzodiazepin-Rezeptoren". Dabei handelt es sich um eine spezielle Bindungsstelle auf der α-Untereinheit des GABAA-Rezeptors.
    • Interessant ist, dass bislang kein endogener Ligand für den "Benzodiazepin-Rezeptor" bekannt ist.
  • Benzodiazepine erhöhen durch einen allosterischen Effekt die Affinität des GABAA-Rezeptors zu seinem natürlichen Substrat. Die Hemmantwort der zentralen Neurone auf den Neurotransmitter GABA wird verstärkt.
  • Das Ausmaß dieser Links-Verschiebung der GABA-Dosis-Wirkungskurve für die durch die Benzodiazepine induzierte Öffnung des Chlorid-Kanals hängt von der "intrinsic activity" ab.
    • Sie ist bei reinen Agonisten wie Diazepam am stärksten ausgeprägt und bei "reinen" Antagonisten wie Flumazenil nahezu null. Partialagonisten wie Bretazenil nehmen eine Mittelstellung ein.
      • Einige β-Carboline, z.B. Methyl-6,7-dimethyl-4-ethyl-β-carbolin-3-carboxysäure (DMCM) sind inverse Agonisten. Sie unterdrücken die Wirkung von GABA.
    • 1,5-Benzodiazepine haben eine im Vergleich zu den Vertretern der 1,4-Reihe eine geringere Affinität zur ω1-allosterischen Bindungsstellte des GABAA-Rezeptors.
  • Der Hauptangriffsort der Benzodiazepine im ZNS ist das limbische System. Bereits geringe Dosen von Benzodiazepinen dämpfen die von dort ausgehende emotionsbedingte Aktivierung des "Wach-Systems" in der Formatio reticularis und wirken somit indirekt schlaffördernd.
  • Die Wirkung ist stark dosisabhängig.
    • In geringer Konzentration wirken Benzodiazepine beruhigend und sedierend.
    • In etwas höherer Konzentration zusätzlich schlafanstoßend.
    • Hohe Konzentrationen sind schließlich schlaferzwingend.
      • Typisch für solch hohe Konzentrationen ist das Auftreten einer anterograden Amnesie.
  • Benzodiazepine zeigen in niedriger Dosierung daneben eine anxiolytische Wirkung.
  • Die hypnotische Wirkungsstärke eines Benzodiazepins korreliert mit seiner Affinität zur Benzodiazepin-Bindungsstelle, wobei Unterschiede im Wirkspektrum der einzelnen Benzodiazepine untereinander folgendermaßen erklärt werden:
    • Es gibt mehrere Benzodiazepin-Bindungsstellen
      • Die Wirkungen der Benzodiazepine werden über mindestens 2 verschiedene Bindungsstellen vermittelt, wobei die Benzodiazepin-1-Stelle (BZ-1) mit den hypnotischen und die Benzodiazepin-2-Stelle (BZ-2) mit den motorischen Effekten in Verbindung gebracht wird.
      • Nach dieser Theorie wären bei reinen BZ-1-Agonisten weniger unerwünschte Wirkungen zu erwarten.
        • Tatsächlich blieben im Tierversuch die anxiolytischen und antikonvulsiven Effekte auch beim Ausfall des α1-Subtyps bestehen, so dass diese Effekte nun mit der Bindung an die ω2-Bindungsstelle in Verbindung gebracht werden.
        • Die ω1-Bindunsstelle, die auf dem α1-Subtyp des GABAA-Rezeptors liegt, wird somit für die sedierenden Eigenschaften der Benzodiazepine verantwortlich gemacht.
    • Es gibt Unterschiede in der intrinsischen Aktivität der Benzodiazepine
      • An einem Effektorsystem ohne Rezeptorreserve haben Partialagonisten eine geringere intrinsische Aktivität als volle Agonisten, während an einem Effektorsystem mit hoher Rezeptorreserve auch Partialagonisten mit einer intrinsischen Aktivität von 1 wirken.
      • Für die Auslösung der hypnotischen Effekte soll eine geringere Rezeptorbesetzung erforderlich sein (die Rezeptorreserve wäre demnach größer), als für die motorischen Effekte.
      • Nach dieser Theorie sollten Partialagonisten weniger unerwünschte motorische Nebenwirkungen zeigen.
    • Unterschiede im pharmakokinetischen Verhalten bewirken unterschiedliche Wirkungen
      • Kurzwirkende Verbindungen verursachen kaum Überhangeffekte, allerdings können schon am frühen Morgen nach der abendlichen Einnahme Absetzphänomene, die sogenannte "rebound insomnia", auftreten.
      • Langwirkende Benzodiazepine hingegen führen zu Überhangeffekten und Kumulation.
  • Als Hypnotika eingesetzt beschleunigen und erleichtern Benzodiazepine den Schlafeintritt, vermindern das nächtliche Aufwachen, erhöhen die Weckschwelle und verlängern die Gesamtschlafzeit. Dabei kommt es jedoch zu einer Veränderung der Schlafphasen.
    • So wird die Latenzzeit bis zur ersten REM-Phase sowie das Stadium 2 und 3 des NREM-Schlafes verlängert, während die erste REM-Phase selbst und Stadium 4 des NREM-Schlafes verkürzt werden.
    • Insgesamt ist die Dauer des REM-Schlafes herabgesetzt, die Häufigkeit der REM-Zyklen kann jedoch erhöht sein.
  • Die meisten Patienten empfinden den Benzodiazepin-induzierten Schlaf als "tief" und "erfrischend".
  • Im Gegensatz zu den Barbituraten zeigen Benzodiazepine bei oraler Applikation keine narkotische Wirkung. Sie hemmen die Funktion des Gehirns nicht generell, sodass die Gefahr einer Atemlähmung praktisch nicht besteht.
  • Da viele autonome Funktionen wie Blutdruck, Herzfrequenz oder Körpertemperatur keine GABAA-Rezeptoren besitzen, werden sie nahezu nicht beeinflusst, was eine sehr große therapeutisch Breite (z.T. um über Faktor 100 zwischen minimaler Wirkkonzentration und minimaler toxischer Konzentration) für die Benzodiazepine ergibt.

Ausblick

  • Da es anscheinend unterschiedliche α-Untereinheiten an GABAA-Rezeptoren gibt, könnten sich in Zukunft die anxiolytischen und zentral muskelrelaxierenden Effekte von den sedierenden und antikonvulsiven Effekten getrennt ansprechen lassen.

Pharmakokinetik

Resorption

  • Benzodiazepine werden bei oraler Applikation schnell und gut resorbiert.
  • Die höchsten Plasmakonzentrationen werden meist nach etwa 1 h (bei Diazepam erst nach 4 h) erreicht.

Distribution

  • Die Bindung an Plasmaproteine, v.a. Albumin, variiert abhängig von der Lipophilie der Substanzen. Bei Diazepam beträgt sie über 90 %.
  • Benzodiazepine passieren die Plazentaschranke und treten in die Muttermilch über.

Metabolisierung

  • Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Biotransformation der 1,4-Benzodiazepine ist - abhängig von der jeweiligen Struktur - die Hydroxylierung an C-3, die Glucuronidierung an der gleichen Position oder die N-Desalkylierung.
  • Aufgrund der langen Halbwertszeit einiger Substanzen und ihrer Metaboliten besteht Kumulationsgefahr. Dies gilt besonders für solche Stoffe, die Nordazepam als Metaboliten besitzen.
  • Die Halbwertzeiten der nicht hydroxylierten Benzodiazepine steigen mit zunehmendem Alter des Patienten meist stark an. Auch Störungen der Leberfunktion führen zu einer verzögerten Elimination.
  • Die hydroxylierten Verbindungen (z.B. Lorazepam und Oxazepam) zeigen im allgemeinen deutlich kürzere Halbwertzeiten.
  • Eine Enzyminduktion wird nach therapeutischer Dosierung beim Menschen nicht beobachtet.

Exkretion

  • Die Exkretion der Benzodiazepine erfolgt als Hydroxyverbindungen oder Glucuronide über die Niere.

Toxikologie

Abhängigkeit, Toleranz

  • Bereits bei der Einnahme therapeutischer Dosen kann es nach 10 bis 14 Tagen zu einer psychischen und physischen Abhängigkeit kommen (bei ca. 30 % der Patienten). Nach 12monatiger Anwendung zeigen über 80 % der Patienten eine Abhängigkeit.
  • Eine Toleranzentwicklung ist möglich.
  • Aus diesen Gründen unterliegen die Benzodiazepine den Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes. Sie unterliegen jedoch nicht der Betäubungsmittelverschreibungsordnung.
  • Das Auftreten von Toleranz und Abhängigkeit scheint mit der Affinität der Benzodiazepine zu ihrer Bindungsstelle korreliert zu sein. Solche Korrelationseffekte zeigen sich auch bei manchen unerwünschten Wirkungen, z.B. der "rebound insomnia".
  • Hauptzeichen der chronischen Toxizität der Benzodiazepine ist das Indolenzsyndrom.
    • Der Patient ist gleichgültig und allgemein desinteressiert, oft missgelaunt, reizbar und neigt zu aggressiven Ausbrüchen.
  • Bei Daueranwendung können Verschlechterungen der psychomotorischen und kognitiven Fähigkeiten auftreten, die auch nach größeren Einnahmepausen bestehen bleiben.
  • Da beim abrupten Absetzen akute Entzugssymptome ausgelöst werden können, wird empfohlen, eine schrittweise Dosisreduktion durchzuführen.

Abhängigkeit von niedrigen Dosen

  • Symptome treten beim Absetzen zuvor chronisch zugeführter geringer Benzodiazepindosen vor allem zwischen dem 3. und 7. Tag auf. Typisch sind:
    • Ängstlichkeit
    • Dysphorie
    • Schlafstörungen ("rebound insomnia")
    • Lethargie
    • Konzentrationsstörungen
    • psychovegetative Störungen
    • Depersonalisierung
    • Derealisation
  • Etwa 2 - 4 Wochen nach dem Absetzen treten Nachentzugssymptome auf:

Abhängigkeit von hohen Dosen

  • Das abrupte Absetzen chronisch zugeführter hoher Benzodiazepindosen führt insbesondere zwischen dem 7. und 12. Tag zu starken Abstinenzsymptomen. Typisch sind hierbei:
  • Die Nachentzugssymptome entsprechen denen bei einer Abhängigkeit von niedrigen Dosen.

Schwangerschaft

  • Benzodiazepine sind wahrscheinlich nicht teratogen, passieren aber die Plazenta und können so die ZNS-Funktionen des Feten beeinflussen.
  • Bei Neugeborenen von Benzodiazepin-abhängigen Frauen oder Patientinnen mit Dauerbehandlung im 3. Trimenon wurden akute Wirkungen und Entzugserscheinungen beobachtet.

Intoxikation

Bemerkungen

  • Die Symptome der akuten Intoxikation sind von denen der weiter oben besprochenen chronischen Toxizität abzugrenzen.
  • Benzodiazepine und ihre Analoga sind für mindestens 15 % aller suizidalen Intoxikationen verantwortlich. Andere Quellen sprechen gar von 35 - 50 % aller Vergiftungen.
  • Akut toxische Dosen liegen ab ca. 1 - 3 mg·kg-1 KG vor.
  • Tödliche Vergiftungen sind, aufgrund der großen therapeutischen Breite der Benzodiazepine von teilweise bis zu 1000 mg·kg-1 KG, sehr selten. Dabei sind jedoch einige Benzodiazepine, v.a. Flunitrazepam und Nitrazepam deutlich gefährlicher als andere.
  • Allerdings treten wechselseitige Wirkungsverstärkungen mit anderen zentral dämpfenden Stoffen (z.B. Barbiturate, Ethanol) auf. Diese Mischintoxikationen zeigen als Hauptgefahren:
  • Neben der Verwendung als Tranquilizer werden v.a. Diazepam und Flunitrazepam von Heroinabhängigen als "Ersatzdroge" genommen. Hier kann es durchaus zu Intoxikationen mit Dosierungen kommen, in denen auch die Benzodiazepine allein bereits letal wirken können.

Symptomatik

  • Benommenheit
  • Verwirrtheit
  • Schlafneigung (meist jedoch erweckbar)
  • Bewusstlosigkeit (selten)
  • Zentrale Muskelrelaxation
  • Nystagmus
  • Ataxie
  • Übelkeit, Erbrechen
  • Atemdepression (selten)
  • Hypotonie (selten)

Sofortdiagnostik

Sofortmaßnahmen

Antidot


Chemie

Grundstruktur

1,4-Benzodiazepin

Bemerkungen

  • Die Wirkung der Benzodiazepin ist an den intakten Siebenring gebunden. Bedeutsam ist ferner die Lactam-Struktur.
  • Neben den 1,4-Benzodiazepinen gibt es auch ein pharmazeutisch angewendetes 1,5-Benzodiazepin, das Clobazam.
  • Der anellierte Benzolring ist z.B. im Brotizolam durch einen Thiophenring ersetzt.
  • An Stelle der Carbonylgruppe kann ein anellierter Triazolring treten, so z.B. im Triazolam oder ebenfalls im Brotizolam.

Beispiele

Substanzen

1,4-Benzodiazepine

1,5-Benzodiazepine

3,4-Benzodiazepine


 

www.BDsoft.de
pharm@zie
-
Bücher zum Thema Pharmazie bei Amazon