Thiazid-Diuretika und Thiazid-Analoga
Synonyme
- Benzothiadiazine, Benzothiazide, Thiazide
Übersicht
Medizin
Typ
Indikationen
- Hypertonie
- Thiazide gehören zu den Mitteln der ersten Wahl bei der Behandlung
der essentiellen Hypertonie.
- Sie werden häufig auch in Kombination mit anderen Antihypertensiva
eingesetzt.
- Schon in niedriger Dosis senken sie (ohne nennenswerte Reduktion des
EZV) den peripheren Widerstand und vermindern somit den Blutdruck.
- Der genaue Mechanismus des hypotensiven Effekts ist noch nicht völlig
klar.
- Die initiale Blutdrucksenkung ist die Folge der gesteigerten Na+-Ausscheidung. Durch die Erniedrigung der
Na+-Konzentration sinken Plasma- und Herzzeitvolumen, der
periphere Widerstand nimmt dagegen (reflektorisch) etwas zu.
- Die Aufrechterhaltung der Blutdrucksenkung in der zweiten Phase, bei
der das Plasmavolumen wieder weitgehend normalisiert ist und auch die Na+-Ausscheidung
annähernd dem Wert vor Therapiebeginn entspricht, beruht vermutlich vor
allem auf einem verminderten Ansprechen der glatten Gefäßmuskulatur
auf vasokonstriktorische Reize infolge des verringerten Na+-Gehalts der Gefäßwand.
- An isolierten Blutgefäßen führt Hydrochlorothiazid
zu einer konzentrationsabhängigen Relaxation. Dieser Effekt scheint
durch Öffnung Ca2+-aktivierter K+-Kanäle
vermittelt zu werden, was eine Hyperpolarisation der glatten
Muskelzellen zur Folge hat.
- Herzinsuffizienz
- Vorteilhaft einsetzbar durch Vor- und Nachlast senkende Wirkung und
Ausschwemmung kardial bedingter Ödeme.
- Ödeme
- Diabetes
insipidus renalis
- Die Entstehung des paradoxen Effekts, Diuretika
bei einer Erkrankung, die durch zu starke Harnausscheidung
gekennzeichnet ist, als Antidiuretika
einsetzen zu können, ist nicht eindeutig geklärt.
- Einerseits wird eine erhöhte proximale Flüssigkeitsresorption
infolge der Erniedrigung des extrazellulären Volumens, andererseits
eine Erhöhung der Wasserpermeabilität im distalen Tubulus sowie in
den Sammelrohren diskutiert.
- Außerdem ist das Durstgefühl durch Erniedrigung der
Natriumkonzentration im Plasma aufgrund der verstärkten
Natriumausscheidung herabgesetzt.
Kontraindikationen
Absolute Kontraindikationen
- Niereninsuffizienz mit Anurie
- Praecoma und Coma hepaticum
- Aufgrund der die Kaliumausscheidung steigernden Wirkung
- Hypokaliämien
- Da Thiazid-Diuretika über den gleichen Anionentransporter ins Tubuluslumen sezerniert werden wie andere Anionen, z.B. Harnsäure,
kommt es zu einer kompetitiven Hemmung von deren Ausscheidung.
Relative Kontraindikationen
- Muskelschwäche und Gefühl der Abgeschlagenheit
- Bei starker und schneller Entwässerung durch zu abrupte Änderungen
der Elektrolytzusammensetzung.
- Hyperglykämie, Verschlechterung der Glucosetoleranz, Erhöhung des Risikos
für Diabetes mellitus
- Es kommt zu einer Hemmung der Insulinfreisetzung aus den B-Zellen des Pankreas.
Als Grund wird die Öffnung eines Ca2+-abhängigen K+-Kanals
angesehen.
- Dadurch kann ein latenter Diabetes
mellitus manifest oder bei bestehendem Diabetes
mellitus ein auf orale
Antidiabetika eingestellter Patient insulinpflichtig werden. Beim
insulinpflichtigen Diabetiker kann der Insulinbedarf ansteigen.
- Die Risiko für die genannten Wirkungen scheint vor allem bei
Chlortalidon und Hydrochlorothiazid zu bestehen.
- Hyperlipidämie, Anstieg des Gesamtcholesterins um 5 - 10 %
- Die Plasmakonzentration der Triglyceride kann ebenso wie die von LDL
und VLDL im Plasma
zunehmen. Bei den heute verwendeten niedrigen Dosierungen tritt der
Effekt jedoch kaum noch in Erscheinung.
- Hypokaliämie
- Hypomagnesiämie
- In schweren Fällen besteht die Gefahr von Herzrhythmusstörungen,
meist treten jedoch zuvor Krämpfe (insbesondere Wadenkrämpfe) auf, so
dass rechtzeitig Magnesium substituiert werden kann.
- Hyponatriämie
- Hyperurikämie
- Der Grund ist in der kompetitiven Hemmung der Ausscheidung von Harnsäure
über einen Anionentransporter im proximalen Tubulus zu sehen.
- Die Auslösung von Gichtanfällen bei vorbestehenden hohen
Harnsäurekonzentrationen im Blut
ist möglich.
- Thrombosen
- Durch die Erhöhung des Hämatokrits kann es zu einer Verschlechterung der
Herz-Kreislauf-Situation kommen, die auch die Thrombosegefahr erhöht.
- Purpura (sehr selten)
- Agranulozytose
(sehr selten)
- Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) (nur initial)
Anwendung
- Da bei höherer Dosierung nur die unerwünschten, nicht aber die
erwünschten Wirkungen zunehmen (Low-ceiling-Diuretika), ist bei
unzureichender Effektivität eine Dosissteigerung nicht sinnvoll.
Bemerkungen
- Trotz der langen Liste möglicher Nebenwirkungen werden die Substanzen bei
sachgerechter Anwendung im allgemeinen gut vertragen.
- Bei einer Nutzen-Risiko-Bewertung schneiden Thiazid-Diuretika sehr
günstig ab.
Pharmakologie
Wirkungen
- Vermehrte Ausscheidung von:
- Verringerte Ausscheidung von:
- Initiale Senkung der GFR bei Chlorothiazid
und Hydrochlorothiazid,
ansonsten kein Einfluss auf die glomeruläre Filtrationsrate.
Wirkmechanismen
- Thiazide greifen am Anfang des distalen Tubulus an:
- Hier verringern sie die Resorption von Na+ und Cl-
durch Hemmung eines Na+-Cl--Cotransporters in der
luminalen Membran der Tubuluszellen.
- Die Hemmung des Na+-Cl--Cotransporters erfolgt
wahrscheinlich über eine kompetitive Bindung an die Cl--Bindungsstelle.
- Die erhöhte Na+-Konzentration im Harn führt im nachfolgenden
Sammelrohr zu einer erhöhten Na+-Rückresorption. Diese bewirkt
eine Veränderung des Membranpotentials und darüber eine geringere
Zurückhaltung von K+. Durch die höhere K+-Konzentration
im Tubuluslumen kommt es über einen H+/K+-Antiporter
nun auch zu einer vermehrten Protonen-Ausscheidung. Mögliche Folgen sind Hypokaliämie
und Alkalose.
- Die antihypertensive Wirkung dieser Subtanzen wird z.T. auf die vermehrte
Ausscheidung von Na+ zurückgeführt und übertrifft den Effekt
einer kochsalzarmen Diät.
- Es kommt zu einer Verminderung der intrazellulären Na+-Konzentration,
die zu einer Stabilisierung des Membranpotentials der Gefäßmuskulatur
und zu einer herabgesetzten Ansprechbarkeit auf erregende Substanzen
führt. Daraus ergibt sich eine Senkung des peripheren
Gefäßwiderstands.
- Wesentlicher erscheint eine direkt vasodilatierende Wirkung durch Öffnung
eines Ca2+-abhängigen K+-Kanals in den glatten
Muskelzellen der Gefäße mit resultierender Hyperpolarisation und daraus
folgender Relaxation.
- Dieser Mechanismus wird aber auch für die Abnahme der
Glucose-Toleranz verantwortlich gemacht.
- Es kommt zu keiner Hypokalzämie,
da die renale Ca2+-Ausscheidung (im Gegensatz zu den Schleifendiuretika)
verringert wird.
- Ca2+ wird an der basolateralen Membran distaler
Tubuluszellen über eine Ca2+-ATPase und einen 3Na+/Ca2+-Antiporter
aktiv bzw. sekundär aktiv ins Blut
abgegeben.
- Das Potential im Innern der Tubuluszellen sinkt und sorgt so für ein
vermehrtes Einströmen von Ca2+, also eine verstärkte
Calcium-Resorption aus dem Harn.
- Thiazide scheinen deshalb bei chronischer Anwendung die Ausbildung
einer Osteoporose
zu verzögern.
- Es besteht die Gefahr einer Hypomagnesiämie,
da die mg2+-Rückresorption bereits bei
physiologischen Harnvolumen weitgehend gesättigt ist.
- Mg2+ wird nur über eine basolaterale mg2+-ATPase,
nach passiver Aufnahme über einen mg2+-Kanal, aktiv aus der
Tubuluszelle ins Blut
abgegeben.
- Ist dieser Transportmechanismus gesättigt, so führt ein erhöhtes
Harnvolumen auch zu einer vermehrten mg2+-Ausscheidung.
- Thiazide weisen eine gewisse Hemmwirkung auf die Phosphodiesterase auf und
führen so zu einem Anstieg der cAMP-Konzentration.
Bemerkungen
- Alle Mittel dieser Gruppe sind qualitativ gleich wirksam.
- Ihr maximal erzielbarer natriuretischer Effekt ist mit ca. 5 % deutlich
geringer als der der Schleifendiuretika.
- Sie verlieren ihre Wirkung, wenn die glomeruläre Filtrationsrate unter 30
ml/min fällt, da dann das filtrierte Na+ bereits im
frühdistalen Tubulus weitestgehend rückresorbiert wird (Diuretikaresistenz).
- Im Gegensatz zu Carbonatanhydratase-Hemmstoffen
sind Thiazide auch bei azidotischer Stoffwechsellage und bei
Dauertherapie wirksam, doch wird bei einer Dauerbehandlung die saluretische
Wirkung durch Gegenregulationen des Organismus (Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-System)
deutlich abgeschwächt (Escape-Phänomen).
- Thiazide werden, bis auf die Muttersubstanz Chlorothiazid,
gut aus dem Darm resorbiert.
- Da sie teilweise auch in deprotonierter Form als "Säureanionen"
vorliegen werden sie als solche im proximalen Tubulus aktiv sezerniert. Die
Konzentration in der Tubulusflüssigkeit wird dadurch 20 - 50mal höher als
im Blut.
- Da Thiazid-Diuretika über den gleichen Anionentransporter ins
Tubuluslumen sezerniert werden wie andere Anionen, z.B. Harnsäure,
kommt es zu einer kompetitiven Hemmung von deren Ausscheidung. Es
besteht die keine Gefahr einer Hyperurikämie.
- Wird die tubuläre Sekretion blockiert (z.B. durch Probenecid),
so wird die diuretische Wirkung abgeschwächt oder aufgehoben.
- Ihre Biotransformation
ist sehr unterschiedlich. Während z.B. Hydrochlorothiazid
praktisch nicht metabolisiert wird, erscheint Bemetizid
kaum unverändert im Endharn.
Bemerkungen
- Thiazide werden in der Therapie der essentiellen Hypertonie
häufig in Kombination mit anderen Antihypertensiva
(z.B. Clonidin, Nifedipin)
eingesetzt, um deren Effekt zu verstärken und um eine eventuell auftretende
Wasser- und Kochsalz-Retention zu verhindern.
Geschichtliches
- Die Entwicklung der Thiazid-Diuretika begann ausgehend von den damals
bereits eingeführten Carbonatanhydratase-Hemmstoffen.
- Deren natriuretische Wirkung war vor allem in der Dauertherapie
unbefriedigend, weshalb man versuchte - wie schon bei der Entwicklung von Acetazolamid
ausgehend von Sulfanilamid
- durch Einführung einer zweiten Sulfonamidgruppe zu besser wirksamen
Verbindungen zu kommen.
- Der entscheidende Erfolg stellte sich jedoch erst dann ein, als in o-Stellung
zur Sulfonamidgruppe zusätzlich ein elektronegativer Substituent (-Cl oder
-CF3) eingeführt wurde.
- Die erste eingeführte Substanz war Chlorothiazid, das 1955 bei MSD
synthetisiert und 1957 auf den Markt gebracht wurde.
Chemie
Grundstrukturen
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Thiazide |
Thiazid-Analoga |
Bemerkungen
- Thiazide sind bicyclische Sulfonamidderivate, bei denen eine der beiden in
den Molekülen vorhandenen Sulfonamidgruppen in das Ringsystem einbezogen
ist.
- Muttersubstanz der Thiazid-Diuretika ist das nicht mehr im Handel
befindliche Chlorothiazid.
- Folgende Veränderungen des Chlorothiazid-Moleküls führen zu einer
beträchtlichen Zunahme der Potenz und Wirkdauer:
- Einführung von 2 Wasserstoff-Atomen an der 3,4-Doppelbindung (vgl. Hydrochlorothiazid)
- Substitution des Wasserstoffs in Stellung 3 durch verschiedene
organische Reste.
Substanzklassen
- Thiazide (Dihydro-benzothiazidin-Derivate)
- Thiazid-Analoga
Beispiele
Substanzen
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