Diabetes mellitus
Synonyme
- Durstkrankheit, Harndurchfall, Harnruhr, Zuckerharnruhr, Zuckerkrankheit
Definition
- Krankheitsbegriff für verschiedene Formen der Glukosestoffwechselstörung
mit unterschiedlicher Ätiologie und Symptomatik.
- Gemeinsames Kennzeichen ist ein relativer oder absoluter Mangel an Insulin,
der eine Erkrankung des Kohlenhydrat-, Fett-, Eiweiß- und
Elektrolyt-Stoffwechsels (v.a. des Calcium-Stoffwechsels) und nachfolgend
vieler Organe bewirkt.
Bemerkungen
- Hyperglykämie
- Die chronische Hyperglykämie
führt zur Störung verschiedener anderer Stoffwechselprozesse und ist
für die Entstehung praktisch aller weiteren Symptome
sowie der Spätkomplikationen verantwortlich.
- Glykosurie
- Polydipsie
- Polyurie
- Polyphagie (Gewichtsabnahme trotz gesteigerter Nahrungsaufnahme)
- Adynamie (Mattigkeit und Kraftlosigkeit)
- Neigung zu Dermatosen (Pruritus, Ekzem),
Furunkulosen, Parodontopathien, Wundheilungsstörungen, chronischen
Harnweginfektionen
- Potenz- und Menstruationsstörungen
- Die Symptomatik kann von leichteren,
z.T. uncharakteristischen Formen bis zum diabetischen Koma reichen:
- Ketoazidotisches Koma bei Typ-I-Diabetikern
- Hyperosmolares Koma bei Typ-II-Diabetikern
Stoffwechselstörungen durch Insulinmangel
- Mangelhafte Glucoseverwertung
- Gesteigerte Lipolyse
- Gesteigerter Eiweißabbau
Folgen des Diabetes mellitus
- Verkürzte Lebenserwartung und verringerte Lebensqualität
- In Deutschland kam es 2003 als Folge einer
Diabetes-mellitus-Erkrankung alle 12 min zu einem tödlichen Apoplex,
alle 19 min zu einem tödlichen Myokardinfarkt oder einer
Fußamputation, alle 60 min zu einer Dialysepflicht und alle 90 min zu
einer Erblindung.
- Diabetische Mikroangiopathien
- Nephropathie, Retinopathie, Neuropathie
- Störungen des Nervensystems
- Diabetische Makroangiopathie
- koronar, cerebrovaskulär, peripher
- z.B. Arteriosklerose, diabetischer Fuß
- Schädigung der Endothelien der Blutgefäße durch den erhöhten
Blutzuckerspiegel
Spätkomplikationen
- Retinopathia diabetica
- Diabetische Glomerulosklerose
- Diabetische Gangrän als Folgen der generalisierten diabetischen
Mikroangiopathie
- Arteriosklerose
- Insgesamt häufigste Komplikation bei Diabetes mellitus.
- Sie beginnt früher und verläuft schwerer als bei Nichtdiabetikern.
- Betroffen sind v.a. periphere, Koronar-, Becken- und Zerebralarterien
- Diabetische Neuropathie
- Befall des peripheren, autonomen und zentralen Nervensystems mit
Parästhesien, nächtlichen Wadenkrämpfen, Hypo- bzw. Areflexie,
Arthropathie, Blasenstörungen, Impotenz.
- Ursache ist wahrscheinlich eine Mikroangiopathie der Vasa nervorum.
- Charakteristische Hautveränderungen
- Neben häufigen Infekten trophische Störungen und Necrobiosis
lipoidica
- Heterogen. Eine genetische Disposition mit
veränderter Genexpression ist wahrscheinlich. Toxische und infektiöse Einflüsse
sowie Autoimmunprozesse werden diskutiert (z.T. multifaktorielle Genese).
- Manifestationsfördernde Faktoren, z.B. Adipositas
oder Schwangerschaft sind bekannt.
Stadien (nach WHO)
- Potentieller Diabetes mellitus
- Bei Personen mit nicht pathologischem oralen Glucosetoleranztest,
denen mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund familiärer Belastung ein
Diabetes mellitus vorausgesagt werden kann:
- Eineiige Zwillinge, bei denen der andere Zwilling Diabetiker ist
- Kinder, deren beide Elternteile an Diabetes mellitus erkrankt sind
- Kinder, bei denen ein Elternteil an Diabetes mellitus erkrankt ist
und deren nicht erkrankter Elternteil einen an Diabetes mellitus
erkrankten Elternteil, Geschwister oder Nachkommen hat
- Frauen mit einem lebenden oder toten Kind eines Geburtsgewichts
von 4,5 kg und mehr oder mit einem totgeborenen Kind mit
Inselzellhyperplasie des Pankreas
(ohne Rhesus-Inkompatibilität).
- Die retrospektive Diagnose Prädiabetes bezieht sich auf die zeitliche
Phase vor der Manifestation eines Diabetes mellitus mit normaler oder
gestörter Glukosetoleranz.
- Latenter Diabetes mellitus
- Bei Personen mit normalen Werten beim oralen Glucosetoleranztest, die
unter Belastungssituationen wie Schwangerschaft, Infektion, Stress oder
nach Gewichtszunahme pathologische Werte aufweisen
- Bei Patienten, die bei Provokationstests pathologische
Blutzuckerkurven zeigen.
- Verminderte Glukosetoleranz, Glukosetoleranzstörung
- Früher auch als asymptomatischer, subklinischer oder chemischer
Diabetes mellitus bezeichnet.
- Die verminderte Glucosetoleranz ist gegeben bei Personen:
- Mit pathologischen Werten im oralen Glucosetoleranztest, bei denen
der Nüchternblutzucker ("wahre Glukose") venös und
kapillär unter 6,7 mmol/l liegt
- Mit pathologischen Werten im oralen Glucosetoleranztest, bei denen
auch die Nüchtern-Blutzuckerwerte über den oben genannten Werten
liegen
- Mit einem 2-Stunden-Blutzuckerwert nach oraler Glukosebelastung
von venös 6,7 - 10,0 mmol/l oder kapillär 6,7 - 11,1 mmol/l.
- Klinisch-manifester Diabetes mellitus
- Diese Diagnose lässt sich bei Patienten mit pathologischen
Blutzuckerwerten und Ausscheidung von Glucose
mit dem Harn sowie bei Vorliegen typischer Symptome
und evtl. Komplikationen des Diabetes mellitus stellen.
Therapie
Therapieziele
- Erreichen einer physiologischen Blutglucosekonzentration über den ganzen
Tag
- Beseitigung der Symptome unter Erhalt der
Lebensqualität
- Vermeidung unerwünschter Wirkungen
- Prophylaxe bzw. Verringerung der Spätschäden
- Verlängerung der Lebensdauer
Therapiemaßnahmen
Allgemeinmaßnahmen
- Diätetische Maßnahmen
- Ein Diät ist grundsätzlich bei jedem Diabetiker sinnvoll und
erforderlich.
- Ziel ist eine Normalisierung des Körpergewichts mit einer Reduktion
der Energiezufuhr auf 1000 bis 1800 kcal/d.
- Besteht keine besondere körperliche Belastung sind etwa 30
kcal/kg ausreichend.
- Sport
- Durch regelmäßige körperliche Bewegung nimmt die Insulinresistenz
ab.
Medikamentöse Therapie
Prophylaxe und Therapie diabetischer Folgeschäden
- Vollständige Normalisierung des Blutzuckerspiegels
- Effektive antihypertensive Behandlung
- Senkung der Plasmalipide
- Regelmäßige Fußinspektionen
Therapiekontrolle
- Regelmäßige, d.h. mehrmals tägliche, Bestimmung der aktuellen
Blutglucosekonzentration und Notation der Werte
- Die regelmäßige Bestimmung der aktuellen Blutglucosekonzentration
durch den Patienten selbst ist die wichtigste der Therapiekontrolle bei
Diabetes mellitus.
- Sie dient - je nach Therapieform - auch zur Anpassung der Dosierung
der medikamentösen Therapie.
- Hinweise zur
Blutzuckermessung sind auf der
entsprechenden Seite zu finden.
- Bestimmung des HbA1C-Wertes
alle 3 Monate
- Angestrebt werden muss eine Einstellung auf einen Wert < 6,5 %.
Geschichtliches
Allgemeines
- Der Begriff Diabetes wurde im 2. Jahrhundert nach Christus von Demetrios
von Apamaia geprägt. Er leitete den Ausdruck vom griechischen "diabainein"
(= hindurchgehen) ab.
- Den süßen Geschmack des Urins bei Diabetikern beschrieb T. Willis im
Jahr 1674, der chemische Nachweis von Glucose im Urin gelang M. Dobson im
Jahr 1777.
- O. Minkowski und J. von Mering beschrieben 18889 das Auftreten von
Diabetes nach Entfernung der Pankreas.
- F. Banting und C. Best beschrieben 1921 erstmal die Wirkung eines reinen Pankreasextrakts
bei einem Hund, dem zuvor das Pankreas
entfernt worden war. Daraus leitete man die erste Diabetes-Therapie mit
Pankreasextrakt beim Menschen ab. Erster behandelter Patient war der 11-jährige Leonard Thompson, der
dadurch das Erwachsenenalter erreichte.
Häufigkeit des Diabetes mellitus
- Aretaios von Kappadozien (81 - 138 n. Chr.): "...der Diabetes ist bei
den Menschen auch ganz und gar nicht häufig."
- Galenos (129 - 200 n. Chr.) schreibt, dass er in seinem ganzen Leben nur 2
Fälle von Diabetes gesehen hat.
- T. Willis (1621 - 1675, brit. Hofarzt): "...häufig, ich kann sagen
täglich, haben wir Fälle dieser Krankheit, bei der der Urin
des Kranken einen honigartigen Geschmack hat."
- In Deutschland steigt die Häufigkeit des Diabetes mellitus seit etwa 1950
an. Waren damals nur sehr wenige Patienten betroffen, so waren es im Jahr
2000 bereits 5 % der Bevölkerung. Für 2030 erwartet man eine
Prävalenzrate von bis zu 10 %.
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