Diabetes mellitus

Synonyme

  • Durstkrankheit, Harndurchfall, Harnruhr, Zuckerharnruhr, Zuckerkrankheit

Definition

  • Krankheitsbegriff für verschiedene Formen der Glukosestoffwechselstörung mit unterschiedlicher Ätiologie und Symptomatik.
  • Gemeinsames Kennzeichen ist ein relativer oder absoluter Mangel an Insulin, der eine Erkrankung des Kohlenhydrat-, Fett-, Eiweiß- und Elektrolyt-Stoffwechsels (v.a. des Calcium-Stoffwechsels) und nachfolgend vieler Organe bewirkt.

Bemerkungen

  • Der Diabetes mellitus ist die häufigste endokrine Störung beim Menschen.
  • Von einem klinisch manifesten Diabetes mellitus spricht man, wenn in mehreren Messungen die in der Tabelle für einen Diabetes mellitus angegebenen Blutzuckerwerte (im Vollblut) festgestellt wurden.
    • Die Werte für das Blutplasma liegen allgemein ca. 10 - 15 % höher, da die Glucose im Plasma gelöst ist und die korpuskulären Bestandteile des Vollblutes somit für einen Verdünnungseffekt sorgen.
    Messung Messart Physiologisch Glucosetoleranz Diabetes mellitus
    mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l
    Nüchtern venös < 100 < 5,6 100 - 110 5,6 - 6,1 > 110 > 6,1
    kapillär < 100 < 5,6 100 - 110 5,6 - 6,1 > 110 > 6,1
    2 h nach oraler Gabe von 75 g Glucose venös < 120 < 6,7 120 - 179 6,7 - 10,0 > 180 > 10,0
    kapillär < 140 < 6,7 140 - 199 7,8 - 11,0 > 200 > 11,0

    Für die internationale Einheit mmol/l sind die in Deutschland noch immer gebräuchlichen mg/dl-Werte durch 18 zu teilen (110  mg/dl = 6,15 mmol/l).

  • Das Stadium der Glucosetoleranz wird auch als Prä-Diabetes-Stadium bezeichnet.
  • Bei jedem Diabetes mellitus liegt ein Mangel an körpereigenem Insulin vor. Dieser Mangel kann absolut oder relativ sein.
  • Bei einem absoluten Insulinmangel sezerniert die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr, z.B. infolge einer Zerstörung der Inselzellen.
  • Für einen relativen Insulinmangel sind folgende Gründe möglich:
    • Die Insulinproduktion kann den Erfordernissen nicht mehr angepasst werden.
    • Die Insulinwirkung wird durch Insulinantikörper an den Zielzellen abgeschwächt.
    • Die Zahl der Insulinrezeptoren an den Erfolgsorganen ist vermindert.
    • Es besteht ein Defekt der Insulinrezeptoren.

Symptome

  • Hyperglykämie
    • Die chronische Hyperglykämie führt zur Störung verschiedener anderer Stoffwechselprozesse und ist für die Entstehung praktisch aller weiteren Symptome sowie der Spätkomplikationen verantwortlich.
  • Glykosurie
  • Polydipsie
  • Polyurie
  • Polyphagie (Gewichtsabnahme trotz gesteigerter Nahrungsaufnahme)
  • Adynamie (Mattigkeit und Kraftlosigkeit)
  • Neigung zu Dermatosen (Pruritus, Ekzem), Furunkulosen, Parodontopathien, Wundheilungsstörungen, chronischen Harnweginfektionen
  • Potenz- und Menstruationsstörungen
  • Die Symptomatik kann von leichteren, z.T. uncharakteristischen Formen bis zum diabetischen Koma reichen:
    • Ketoazidotisches Koma bei Typ-I-Diabetikern
    • Hyperosmolares Koma bei Typ-II-Diabetikern

Stoffwechselstörungen durch Insulinmangel

  • Mangelhafte Glucoseverwertung
  • Gesteigerte Lipolyse
  • Gesteigerter Eiweißabbau

Folgen des Diabetes mellitus

  • Verkürzte Lebenserwartung und verringerte Lebensqualität
    • In Deutschland kam es 2003 als Folge einer Diabetes-mellitus-Erkrankung alle 12 min zu einem tödlichen Apoplex, alle 19 min zu einem tödlichen Myokardinfarkt oder einer Fußamputation, alle 60 min zu einer Dialysepflicht und alle 90 min zu einer Erblindung.
  • Diabetische Mikroangiopathien
    • Nephropathie, Retinopathie, Neuropathie
    • Störungen des Nervensystems
  • Diabetische Makroangiopathie
    • koronar, cerebrovaskulär, peripher
    • z.B. Arteriosklerose, diabetischer Fuß
    • Schädigung der Endothelien der Blutgefäße durch den erhöhten Blutzuckerspiegel

Spätkomplikationen

  • Retinopathia diabetica
  • Diabetische Glomerulosklerose
  • Diabetische Gangrän als Folgen der generalisierten diabetischen Mikroangiopathie
  • Arteriosklerose
    • Insgesamt häufigste Komplikation bei Diabetes mellitus.
    • Sie beginnt früher und verläuft schwerer als bei Nichtdiabetikern.
    • Betroffen sind v.a. periphere, Koronar-, Becken- und Zerebralarterien
  • Diabetische Neuropathie
    • Befall des peripheren, autonomen und zentralen Nervensystems mit Parästhesien, nächtlichen Wadenkrämpfen, Hypo- bzw. Areflexie, Arthropathie, Blasenstörungen, Impotenz.
    • Ursache ist wahrscheinlich eine Mikroangiopathie der Vasa nervorum.
  • Charakteristische Hautveränderungen
    • Neben häufigen Infekten trophische Störungen und Necrobiosis lipoidica

Ätiologie

  • Heterogen. Eine genetische Disposition mit veränderter Genexpression ist wahrscheinlich. Toxische und infektiöse Einflüsse sowie Autoimmunprozesse werden diskutiert (z.T. multifaktorielle Genese).
  • Manifestationsfördernde Faktoren, z.B. Adipositas oder Schwangerschaft sind bekannt.

Stadien (nach WHO)

  1. Potentieller Diabetes mellitus
    • Bei Personen mit nicht pathologischem oralen Glucosetoleranztest, denen mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund familiärer Belastung ein Diabetes mellitus vorausgesagt werden kann:
      1. Eineiige Zwillinge, bei denen der andere Zwilling Diabetiker ist
      2. Kinder, deren beide Elternteile an Diabetes mellitus erkrankt sind
      3. Kinder, bei denen ein Elternteil an Diabetes mellitus erkrankt ist und deren nicht erkrankter Elternteil einen an Diabetes mellitus erkrankten Elternteil, Geschwister oder Nachkommen hat
      4. Frauen mit einem lebenden oder toten Kind eines Geburtsgewichts von 4,5 kg und mehr oder mit einem totgeborenen Kind mit Inselzellhyperplasie des Pankreas (ohne Rhesus-Inkompatibilität).
    • Die retrospektive Diagnose Prädiabetes bezieht sich auf die zeitliche Phase vor der Manifestation eines Diabetes mellitus mit normaler oder gestörter Glukosetoleranz.
  2. Latenter Diabetes mellitus
    1. Bei Personen mit normalen Werten beim oralen Glucosetoleranztest, die unter Belastungssituationen wie Schwangerschaft, Infektion, Stress oder nach Gewichtszunahme pathologische Werte aufweisen
    2. Bei Patienten, die bei Provokationstests pathologische Blutzuckerkurven zeigen.
  3. Verminderte Glukosetoleranz, Glukosetoleranzstörung
    • Früher auch als asymptomatischer, subklinischer oder chemischer Diabetes mellitus bezeichnet.
    • Die verminderte Glucosetoleranz ist gegeben bei Personen:
      • Mit pathologischen Werten im oralen Glucosetoleranztest, bei denen der Nüchternblutzucker ("wahre Glukose") venös und kapillär unter 6,7 mmol/l liegt
      • Mit pathologischen Werten im oralen Glucosetoleranztest, bei denen auch die Nüchtern-Blutzuckerwerte über den oben genannten Werten liegen
      • Mit einem 2-Stunden-Blutzuckerwert nach oraler Glukosebelastung von venös 6,7 - 10,0 mmol/l oder kapillär 6,7 - 11,1 mmol/l.
  4. Klinisch-manifester Diabetes mellitus
    • Diese Diagnose lässt sich bei Patienten mit pathologischen Blutzuckerwerten und Ausscheidung von Glucose mit dem Harn sowie bei Vorliegen typischer Symptome und evtl. Komplikationen des Diabetes mellitus stellen.

Klassifikation (nach WHO)

Therapie

Therapieziele

  • Erreichen einer physiologischen Blutglucosekonzentration über den ganzen Tag
  • Beseitigung der Symptome unter Erhalt der Lebensqualität
  • Vermeidung unerwünschter Wirkungen
  • Prophylaxe bzw. Verringerung der Spätschäden
  • Verlängerung der Lebensdauer

Therapiemaßnahmen

Allgemeinmaßnahmen
  • Diätetische Maßnahmen
    • Ein Diät ist grundsätzlich bei jedem Diabetiker sinnvoll und erforderlich.
    • Ziel ist eine Normalisierung des Körpergewichts mit einer Reduktion der Energiezufuhr auf 1000 bis 1800 kcal/d.
      • Besteht keine besondere körperliche Belastung sind etwa 30 kcal/kg ausreichend.
  • Sport
    • Durch regelmäßige körperliche Bewegung nimmt die Insulinresistenz ab.
Medikamentöse Therapie
Prophylaxe und Therapie diabetischer Folgeschäden
  • Vollständige Normalisierung des Blutzuckerspiegels
  • Effektive antihypertensive Behandlung
  • Senkung der Plasmalipide
  • Regelmäßige Fußinspektionen

Therapiekontrolle

  • Regelmäßige, d.h. mehrmals tägliche, Bestimmung der aktuellen Blutglucosekonzentration und Notation der Werte
    • Die regelmäßige Bestimmung der aktuellen Blutglucosekonzentration durch den Patienten selbst ist die wichtigste der Therapiekontrolle bei Diabetes mellitus.
    • Sie dient - je nach Therapieform - auch zur Anpassung der Dosierung der medikamentösen Therapie.
    • Hinweise zur Blutzuckermessung sind auf der entsprechenden Seite zu finden.
  • Bestimmung des HbA1C-Wertes alle 3 Monate
    • Angestrebt werden muss eine Einstellung auf einen Wert < 6,5 %.

Geschichtliches

Allgemeines

  • Der Begriff Diabetes wurde im 2. Jahrhundert nach Christus von Demetrios von Apamaia geprägt. Er leitete den Ausdruck vom griechischen "diabainein" (= hindurchgehen) ab.
  • Den süßen Geschmack des Urins bei Diabetikern beschrieb T. Willis im Jahr 1674, der chemische Nachweis von Glucose im Urin gelang M. Dobson im Jahr 1777.
  • O. Minkowski und J. von Mering beschrieben 18889 das Auftreten von Diabetes nach Entfernung der Pankreas.
  • F. Banting und C. Best beschrieben 1921 erstmal die Wirkung eines reinen Pankreasextrakts bei einem Hund, dem zuvor das Pankreas entfernt worden war. Daraus leitete man die erste Diabetes-Therapie mit Pankreasextrakt beim Menschen ab. Erster behandelter Patient war der 11-jährige Leonard Thompson, der dadurch das Erwachsenenalter erreichte.

Häufigkeit des Diabetes mellitus

  • Aretaios von Kappadozien (81 - 138 n. Chr.): "...der Diabetes ist bei den Menschen auch ganz und gar nicht häufig."
  • Galenos (129 - 200 n. Chr.) schreibt, dass er in seinem ganzen Leben nur 2 Fälle von Diabetes gesehen hat.
  • T. Willis (1621 - 1675, brit. Hofarzt): "...häufig, ich kann sagen täglich, haben wir Fälle dieser Krankheit, bei der der Urin des Kranken einen honigartigen Geschmack hat."
  • In Deutschland steigt die Häufigkeit des Diabetes mellitus seit etwa 1950 an. Waren damals nur sehr wenige Patienten betroffen, so waren es im Jahr 2000 bereits 5 % der Bevölkerung. Für 2030 erwartet man eine Prävalenzrate von bis zu 10 %.

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